Geschichte des Negroni: Dem Herrn Grafen war der Drink zu schwach

1-1-1 - kein Notruf, sondern die Negroni-Formel: Wermut, Campari, Gin zu gleichen Teilen. Der Cocktail fasziniert durch seine klare Linie - und den Mann, mit dem alles begann: Conte Camillo Negroni.

Ausgetrunken

In diesem Format beleuchtet die freizeit die Historie diverser Drinks und wirft einen Blick auf deren kulturelle Bedeutung.

Es gibt nur ganz wenige Drinks, die den Namen eines Konsumenten tragen. Und es gibt keinen Konsumenten, der es sich so verdient hat, auf diese Weise verewigt zu werden, wie der Conte Camillo Negroni. Groß, schlank, elegant, ein Playboy und doch bärenstark, ein Teufelskerl von einem Fechter, der sich auf seinen ausgedehnten Amerika-Reisen im 19. Jahrhundert aber auch als Trapper, Cowboy, Scharfschütze, Glücksspieler und Rodeoreiter bewiesen hat. Kurz, der Mann war ein Abenteurer, wie er in den Abenteuerbüchern unserer Jugend steht.

Als das Wild-West-Jahrhundert zu Ende ging, zog es Conte Negroni zurück in die Heimat der Toskana, wo wegen ihm schließlich einer der berühmtesten Cocktails der Welt erfunden wurde. Es war im Jahr 1912 im Caffe Casoni im Herzen von Florenz. Der Graf trank "Americanos", wie er es sich in seiner Zeit in Amerika angewöhnt hatte, weil ihn dieser so typisch italienische Drink an Zuhause erinnert hatte. Nun fand er aber, dass dieser Cocktail aus Wermut, Campari und Soda jetzt, wo er nicht mehr mit Bären zu kämpfen oder wilde Broncos zu zähmen hatte, doch ein wenig zu leicht für ihn war, zu wenig Wumms hatte. Er wollte etwas Stärkeres, das noch immer nach Italien schmecken würde. Graf Negroni klagte dem Barkepper, Signore Fosco Scarselli, sein Leid - und der ersetzte kurzerhand das Soda mit Hochprozentigem, nämlich Gin. Und genau so wurde der Negroni geboren: rot, leidenschaftlich und stark, hart, bitter und süß. Ein Cocktail so einfach und schnörkellos, wie er nur sein kann.

In Zeiten des Gin- und Wermut-Booms ist er angesagter denn je, und die Auswahl an unterschiedlichen Geschmacksnuancen ist immens. Während der Negroni-Week von 24. bis 30. Juni bieten Bars auf aller Welt dazu noch die unterschiedlichsten Varianten an, die weit über die bereits etablierten Spielarten, wie dem "Boulevardier" (Bourbon statt Gin), "Negroski" (Wodka), Tegroni (Tequilla) oder dem Sbagliato (Prosecco) hinausgehen. Was Camillo Negroni dazu gesagt hätte? Er hätte sie wahrscheinlich alle genossen, der wilde Hund.

 

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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