Flaschenpost: Jahrgangsprognose oder Kaffeesud lesen
Die erste Traube ist noch nicht vom Rebstock geschnitten, tönt es bereits, man erwarte einen hervorragenden Weinjahrgang.
Von einem lausigen Jahrgang hört man nie. Das mag marketingtechnisch verständlich sein, Anfang September eine Prognose hinsichtlich Qualität abzugeben, grenzt aber an Wahrsagerei. Minutiöse Berichte über den Witterungsverlauf von Dezember bis August vermögen Experten in Spannung versetzen, Laien können sich daraus keinen Reim machen.
Die landläufige Meinung, ein warmes, sonniges Jahr führe zwangsläufig zu herausragenden Weinen, ist längst widerlegt.
Im Gegenteil – heiße, trockene Sommer machen den Reben zunehmend zu schaffen. Die Weine geraten oft alkohollastig und plump – es fehlt an Säure und Finesse. Kühle Sommer hingegen können für interessante Gewächse sorgen. Letztlich entscheidet das Können und Wollen des Winzers über Klasse oder Masse. Versteht jemand sein Hand(!)werk, gelingen auch nach glutheißen Sommern feingliedrige Weine, und selbst in komplett verregneten Jahren finden sich Spitzengewächse. Bei Betrieben hingegen, die ohnehin nichts zustande bringen, hinterlässt auch ein so genannter Jahrhundertjahrgang keine Spuren. Die Vorstellung, Mutter Natur beschere Herausragendes, das dann billig mit Erntemaschinen eingefahren wird, ist naiv: Guter Wein passiert nicht, er entsteht durch Expertise, Intuition, Mut, Demut, Aufwand und den Willen zu Qualität. Von nichts kommt nichts.
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