
Diese Nachteile können Ingwer-Shots haben
Teuer, scharf und häufig sinnlos: Ein Ernährungsmediziner erklärt, warum viele der Gesundheitsdrinks nicht halten, was sie versprechen.
Von Miriam Eichhorn-Zachariades
Ingwer-Shots sind kein kurioser Gastro-Exkurs, sondern ein beliebtes Alltagsprodukt. Man findet sie überall in Drogerien und Supermärkten. Die Shots sollen das Immunsystem stärken und gelten als natürliches Wundermittel gegen eine drohende Erkältung. Doch stimmt das auch?
Dass Ingwer tatsächlich einen Effekt auf unsere Gesundheit hat, zeigt eine neue Studie der Technischen Universität München. Die Forschenden fanden heraus, dass die Knolle die Immunzellen stimuliert. Bereits kleine Mengen des Scharfstoffes Gingerol, dem Hauptwirkstoff des Ingwers, führen dazu, dass weiße Blutkörperchen in eine erhöhte Alarmbereitschaft versetzt werden.
In Versuchen ließ sich nach dem Trinken von etwa einem Liter Ingwer-Tee innerhalb von 30 bis 60 Minuten eine messbare Konzentration der Scharfstoffe der Knolle im Blut nachweisen. „Andere Laborstudien haben auch schon früher eine antivirale, antioxidative und entzündungshemmende Wirkung von Ingwer festgestellt“, erklärt Matthias Riedl, Ernährungsmediziner und ärztlicher Leiter des Medicum Hamburg. Heißt das also, dass an den vollmundigen Werbeslogans wie „Immunkraft für deinen Tag“ oder „Unterstütze dein Immunsystem“ tatsächlich etwas dran ist? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn die Forschungsergebnisse lassen sich nicht einfach auf Ingwer-Shots übertragen, sagt Riedl.
Es fehlen noch groß angelegte klinische Studien am Menschen
„Die immunstimulierenden Eigenschaften von Ingwer sind plausibel, aber nicht abschließend bewiesen. Es fehlen noch groß angelegte klinische Studien am Menschen, um hier wirklich eine Aussage treffen zu können.“ Zudem wurden bislang auch nur die Wirkungen von Ingwer-Tee oder von frischem Ingwer untersucht und nicht die Wirkung von Ingwer-Shots.
Auch wenn der wissenschaftliche Beleg für eine präventive Wirkung für Ingwer-Shots bislang noch fehlt, schwören viele Menschen auf sie. Grundsätzlich sei es auch nicht verkehrt, zu den scharfen Shots zu greifen, erklärt Riedl: „Die Scharfstoffe fördern die Durchblutung der Schleimhäute und wirken entzündungshemmend. Das kann vor allem in der kalten Jahreszeit vorteilhaft sein.“
Zwar sei der vorbeugende Effekt gegen Erkältungen nicht eindeutig belegt – der psychologische Effekt eines Rituals, wie beispielsweise ein morgendlicher Ingwer-Shot, könnte dennoch eine Rolle spielen. „Solche Rituale signalisieren dem Körper: ‚Ich tue etwas für mich.‘ Das stärkt das Gesundheitsbewusstsein.“ Ein Placeboeffekt ist also nicht ausgeschlossen, aber keineswegs wertlos. Allerdings sollte man genau darauf achten, zu welchen Shots man greift. Denn Ingwer-Shots aus dem Handel enthalten oftmals nur sehr wenig Ingwer. Wie eine aktuelle Stichprobe der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz zeigt, bestehen viele Shots zu mehr als 70 Prozent aus Apfel- oder Orangensaft. Der Anteil an Ingwer lag bei maximal 18 Prozent.
Einige Testprodukte wurden zudem mit Agavendicksaft gesüßt. „Man kauft sich damit also einen sehr teuren Fruchtsaft mit einer zum Teil erheblichen Menge Zucker“, so der Ernährungsexperte. Sein Urteil lautet klar: „Ich würde diese Produkte nicht kaufen.“
Sinnvoller sei es, sich zu Hause einen Ingwer-Shot selbst herzustellen (siehe Rezept). Er ist nicht nur günstiger als die teuren Shots aus dem Supermarkt, sondern er enthält deutlich mehr Scharfstoffe und gesundheitsförderliche ätherische Öle sowie weniger Zucker.
„Ingwer-Shots aus dem Einzelhandel werden zur Haltbarmachung auch häufig erhitzt“, fügt Riedl hinzu. Das kann zusätzlich den Gehalt an ätherischen Ölen und Scharfstoffen reduzieren. Personen mit empfindlichem Magen sollten mit Ingwer-Shots jedoch generell vorsichtig sein. Hoch konzentrierter Ingwer-Saft kann bei ihnen zu Magenreizungen, Sodbrennen oder Übelkeit führen, insbesondere auf nüchternem Magen. Besser verträglich ist frisch aufgebrühter Ingwer-Tee: Man nehme 100 Gramm frischen gehackten Ingwer und lasse ihn in einem Liter Wasser für rund 15 Minuten köcheln. So lösen sich noch deutlich mehr Scharfstoffe aus der Knolle als beim bloßen Überbrühen mit Wasser. Vorsicht gilt auch bei der Einnahme von Gerinnungshemmern oder vor Operationen, da Ingwer auch blutverdünnende Eigenschaften besitzt.
Fazit: Ingwer-Shots sind kein Zaubertrank, aber auch mehr als nur ein Marketingversprechen – vorausgesetzt, sie enthalten tatsächlich eine nennenswerte Menge Ingwer. Wer sie gerne trinkt, sollte sie am besten frisch zubereiten. Ein solcher Shot ersetzt zwar keine ausgewogene Ernährung, keinen Spaziergang an der frischen Luft oder einen gesunden Lebensstil. Aber manchmal ist er ein Anfang.
Buch-Tipp: Auf der Suche nach Inspiration für gesunde Ernährung? Dr. Riedls Buch „Die 28-Tage-Power-Nährstoffkur“, erschienen im GU Verlag, liefert zahlreiche praktische Tipps, um ganz ohne Pillen ein starkes Immunsystem und volle Energie zu erhalten.
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