Geschichten rund um Liebe und Krieg, im Zentrum eine riesige Skulptur mit Glas-Objekten: Manche zerbrechen bei der Aufführung

ImpulsTanz: Das Gute in der Welt ist vielen Gefahren ausgeliefert

„All the Good“ von Jan Lauwers und der Needcompany zieht das Pubikum mit ineinandergreifenden Kunstformen in seinen Bann.

Von Silvia Kargl

Das Theater von Jan Lauwers und der von Grace Ellen Barkey, Maarten Seghers und ihm geleiteten Needcompany bewegt und beeinflusst das europäische Sprech- und Tanztheater seit drei Jahrzehnten. Warum das so ist, war bei ImPulsTanz am Sonntag in „All the Good“ exemplarisch zu erleben.

Zu erleben deswegen, weil dieses 2020 entstandene Stück nicht nur auf der Bühne ein theatralisches Gesamtkunstwerk vermittelt, sondern weil es Lauwers und seinen wunderbaren Performerinnen und Performern gelingt, mit ineinandergreifenden Kunstformen und dem Inszenieren von Geschichten das Publikum in seinen Bann zu ziehen.

Zwar bleibt manches rätselhaft, und nicht jeder erzählerische Strang wird aufgelöst, aber zu berühren und zu unterhalten vermag „All the Good“ in jeder Szene.

Im Prolog führt Lauwers selbst als Familienvater in das Stück ein, seine Frau Grace Ellen Barkey, die Tochter Romy Louise und Sohn Victor stehen neben anderen auf der Bühne.

Machtlosigkeit

Der Alltag der Künstlerfamilie im Brüsseler Problemviertel Molenbeek wird mit Terror, Krieg und anderen Bedrohungen konfrontiert. Im Lauf des Stücks zieht sich der für Text, Regie und Bühnenbild verantwortliche Lauwers zurück. Seine Rolle wird von Benoît Gob übernommen, ein starkes Bild für die Machtlosigkeit des schaffenden Künstlers abseits der Kunst.

Dazu passt, dass der Glasbläser Mahmoud aus Hebron aufgrund von unüberwindbaren Schwierigkeiten für eine Reise aus dem Westjordanland nicht persönlich, sondern durch 800 Vasen vertreten ist. Einige zerbrechen während der Aufführung, fallen ihrer Fragilität und einem ungeschützten Raum zum Opfer: Das Gute in der Welt ist vielen Gefahren ausgeliefert.

Besonders die Liebesgeschichte von Romy Lauwers zählt dazu. Während eines Aufenthalts in China verliebt sie sich in den ehemaligen israelischen Elitesoldaten Elik Niv und erlebt mit ihm erotische Höhenflüge.

#MeToo

Niv schied nach einem Unfall aus der Armee aus und wurde Tänzer. Wie die Vasen Mahmouds haben auch Romy und Elik keinen geschützten Raum für ihr Intimleben. Ständig stehen alle unter Beobachtung, sei es von Mitmenschen, aber auch von tierischen Fabelwesen und von Kameras.

Viele aktuelle Themen stößt Lauwers in dem zweistündigen Stück an und findet Bilder, die unter die Haut gehen. So wird #MeToo anhand des Schicksals der von ihrem Lehrer vergewaltigten frühbarocken Malerin Artemisia Gentileschi aufgerollt.

Inge Van Bruystegem und Victor Lauwers interpretieren deren Beziehung. Welchen Preis hatte die Kunst Gentileschis?

Trotz düsterer Ein- und Ausblicke gibt es Platz für das Komödiantische, wie bei Grace Ellen Barkey und ihrem Tinder-Rendezvous, bei dem sie unvermutet auf ein jüngeres Mitglied der Needcompany stößt.

Das alles und vieles mehr mündet in die Projektion des Gemäldes „Kreuzabnahme“ von Rogier van der Weyden aus dem frühen 15. Jahrhundert. In diesem sieht Lauwers nicht zuletzt, „was alle Lebenden und Toten übersehen haben, wenn sie zu schnell schauten“.

„All the Good“ ist ein Stück über Jederfrau und Jedermann.

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