Sofía Otero erhielt für ihr Spiel als Trans-Mädchen den Silbernen Bären der Berlinale: „20.000 Arten von Bienen“

Filmkritik zu "20.000 Arten von Bienen": Der Enkel sieht aus wie ein Mädchen

Zartfühlende Identitätssuche eines Trans-Kindes aus Spanien - Silberner Bär der Berlinale für bestes Schauspiel

Für einen Buben trägt Aitor die Haare ziemlich lang, aber noch finden es alle süß. Einzig die Großmutter klappert im Hintergrund bereits mit der Schere: Die Nachbarinnen halten ihren Enkel für ein Mädchen, und das geht dann langsam doch zu weit.Was niemand in der Familie so richtig wahrhaben möchte, wird aber langsam unübersehbar: Der achtjährige Aitor identifiziert sich als Mädchen, möchte Kleider tragen und im Sitzen pinkeln.

Das Kind ist transsexuell, auf der Suche nach seiner Identität – und einem neuen Namen.

Mit ihrem feinfühligen Spielfilmdebüt hat die spanische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren einen Nerv innerhalb der zeitgenössischen Transgender-Debatte freigelegt. Stilistisch reihen sich ihre fast dokumentarischen, mit der Handkamera flüssig gefilmten Bilder in die Form eines zärtlichen Realismus ein, wie es erst kürzlich ihre Kollegin, die spanische Berlinale-Gewinnerin Carla Simón mit ihrem Familienporträt „Alcarràs – Die letzte Ernte“ vorgemacht hat.

Inhaltlich greift die katalanische Regisseurin eine virulente Thematik auf, die sich im europäischen Autorenfilm in Dramen wie Lukas Dhonts „Girl“ niederschlug, aber auch im Mainstream-Kino verhandelt wird.

Zuletzt musste sich Florian David Fitz als gestresster Vater mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Sohn Oskar lieber Kleider trägt.

Während sich „Oskars Kleid“ aber vor allem mit den Schwierigkeiten der Eltern eines Trans-Kindes beschäftigt, erweitert sich in „20.000 Arten von Bienen“ die Perspektive. Aitor und seine durch die Umwelt erschwerte Identitätssuche stehen eindeutig im Vordergrund, doch fällt der warme Blick der Regisseurin auch auf den Rest der Familie.

Bienenzüchterin

Die Mutter Ana ist verkappte Künstlerin und kann aus dem Schatten ihres verstorbenen Vaters nicht heraustreten. Gemeinsam mit ihren drei Kindern reist sie zur Großmutter in ein katalanisches Dorf, um dort die Sommerferien zu verbringen. Aitors Renitenz gegenüber vorgeformten Geschlechterrollen nimmt sie zwar ernst, sie spielt sie aber als „verwirrte Phase“ herunter. Zu sehr ist sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, um die Situation einschätzen zu können. Einzig die Großtante Lourdes – passionierte Bienenzüchterin – hat im Umgang mit ihren stechenden „Haustieren“ die nötige Aufmerksamkeit erlernt, um das Dilemma ihres Großneffen zu erkennen.

Auf der diesjährigen Berlinale wurde „20.000 Arten der Bienen“ mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet: Er ging an Sofía Otero für ihre umwerfende Darstellung des Trans-Mädchens. Aber auch der Rest des Ensembles hätte jede Auszeichnung verdient. Dank ihres exzellenten Spiels ist „20.000 Arten der Bienen“ weit entfernt vom tranigen Rührstück zum Thema Geschlechteridentität, sondern ein kraftvoller Akt der Selbstermächtigung, der (uns) alle mitreißt.

INFO: ESP 2023. 125 Min. Von Estibaliz Urresola Solaguren. Mit Sofía Otero, Patricia López Arnaiz.

Coming-of-Age eines Trans-Kindes: "20.000 Arten von Bienen"

©DCM 2023
Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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