20 Jahre Hauptbücherei: Ein Ort voller Geschichten

Seit 20 Jahren ist die Hauptbücherei am Gürtel ein fester Bestandteil der Wiener Bibliothekslandschaft.

Die Innenräume der Hauptbücherei am Gürtel erinnern mit Bücherregalen, Schreibtischen, Computern und gemütlichen Polstermöbeln nahezu an ein Wohnzimmer. Von Lärm ist weit und breit keine Spur – zumindest im Gebäude nicht. Wüsste man es nicht, würde man es gar nicht bemerken: Neben und unter der Ruhe befinden sich die grollende U-Bahn und rauschender Verkehr.

Am 8. April 2003 öffnete die Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz, zum ersten Mal ihre Pforten. Sie ist das Flaggschiff der Wiener Bibliotheken. Wie praktisch, dass sie wegen der Segel zuvor auch so aussieht. Zuvor stand sie in der Skodagasse im 8. Bezirk. Das Gebäude erstreckt sich auf 6.000 Quadratmetern über mehrere Etagen und bietet mit rund 400.000 Medien eine schier unendliche Auswahl an Büchern, Filmen, Zeitschriften und vielem mehr. Allerdings ist das nicht das Einzige, das die Bücherei zu bieten hat.

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Von der Idee zur Realität

Dass ein Standort für eine Bücherei mitten am Gürtel, an der Grenze zwischen dem 7. und 15. Bezirk, so beliebt wird, hätten sich viele anfangs wohl nicht gedacht.

Lesen am Gürtel

  • 20 Jahre Hauptbücherei 
    Vor rund zwei Monaten, genauer gesagt am 8. April, feierte die Hauptbücherei am Gürtel ihren 20. Geburtstag. Mit fast einer halben Million Medien bietet sie 2.500 Besuchern täglich eine breit gefächerte Auswahl
  • Architektur
    Das Gebäude wurde von dem Architekten Ernst Mayr entworfen und lehnt sich an die Villa Malaparte auf der italienischen Insel Capri an. Das Bücherschiff ist direkt auf einem U-Bahn-Aufgang gebaut und liegt genau an der Grenze von 7. und 15. Bezirk 
  • 102 Stufen
    führen vom Boden auf die Dachterrasse der Hauptbücherei. Es handelt sich dabei um die größte Freitreppe Wiens. Oben einmal angekommen, scheinen Kahlenberg und weite Teile des Wiener Waldes zum Greifen nahe

„Man wollte dadurch die doch sehr konträren Bezirke, einerseits den eher gut betuchten und bildungsaffinen 7., und andererseits den 15., in dem die eher Einkommensschwächeren wohnen, miteinander verbinden“, erklärt Magdalena Schneider, Leiterin der Hauptbücherei. Zusätzlich sollte die Gürtelgegend aufgewertet werden.

Im Jahr 1998 schrieb die Stadt Wien einen EU-weiten Wettbewerb aus, um einen Architekten für den Bau der Bücherei zu finden. Das Problem dabei: Der Bauort befand sich direkt über einem U-Bahn-Aufgang. „Es war schon sehr gewagt, diesen Bauplatz auszuschreiben, da der Raum doch stark begrenzt war“, betont Schneider. Doch diese Herausforderung schien viele Architekten zu reizen – darunter auch den Salzburger Ernst Mayr, der mit seinem Entwurf schlussendlich gewann: „Ich habe davon gehört, bin hingefahren und da kam dann auch schon die eine oder andere Idee.“

Ein Film als Inspiration

Eine dieser Ideen bekam Mayr, als er sich an den Film „Die Verachtung“ vom französischen Regisseur Jean-Luc Godard zurückerinnerte. Dabei inspirierte ihn viel weniger die Handlung, aber viel mehr der Handlungsort.

Gefilmt wurden die Szenen zum Teil in der Villa Malaparte auf Capri. Wenn man es weiß, ist die Ähnlichkeit kaum zu übersehen: Genau wie bei der Hauptbücherei auch, hat die Villa eine breite Steintreppe, die zu einer Dachterrasse führt. „Mit dieser Treppe zur Dachterrasse versuchte ich das Gebäude in die Stadt einzubinden“, so der Architekt. Ein Argument sei auch gewesen: „Wer sich die Aussicht anschaut, wird sich auch das Innen ansehen“.

Der Weg zum Endprodukt war aber kein einfacher. Für Mayr war es schwierig, seine Idee so präzise wie möglich auf Papier zu bringen. Auch bei den Bauarbeiten gab es ein paar Stolpersteine.

So musste zum Beispiel wegen der täglich ein- und ausfahrenden U-Bahn öfters in der Nacht gebaut werden. Statische, akustische und technische Schwierigkeiten sind zusätzlich zum Problem geworden. „Es war herausfordernd, auf einem U-Bahn-Aufgang zu bauen, aber es war nicht unlösbar “, sagt Mayr.

 

Bis zum heutigen Tag ist es für den Architekten immer noch ein Erlebnis, wenn er mit dem Auto an der Hauptbücherei vorbeifährt oder sie aufgrund von Veranstaltungen aufsucht. Besonders schön findet er zu sehen, dass so viele Menschen die Bücherei besuchen und „den Raum behaglich wie ein Wohnzimmer nutzen. Immerhin betreten mehr als 2.500 Menschen täglich die vier Wände des Bücherschiffs.

Wer kommt noch vorbei?

Dass 2.500 Wienerinnen und Wiener pro Tag die Hauptbücherei besuchen, kommt in Zeiten von eBooks und Handys für viele doch überraschend – für Leiterin Schneider aber nicht: „Die Bücherei besuchen alle aus ganz Wien – egal, ob jung oder alt. Mir würde niemand einfallen, wer nicht kommt.“

Schließlich kommen laut ihr zur Bücherei Schüler und Studierende zum Lernen oder Menschen jeder Altersgruppe, die einen konsumfreien Ort suchen. Dann gibt es wieder welche, die an den verschiedenen Veranstaltungen, wie etwa dem „Kino am Dach“, den Sprachen- und Schachcafés sowie den verschiedenen Workshops, Kursen und Vorlesungen teilnehmen wollen. Nicht zu vergessen sind diejenigen, die sich einfach nur Medien ausborgen wollen.

 

Und wer hätte es gedacht: Bei 1,7 Millionen ausgeliehenen Büchern im Jahr ist „Freundschaft“ vom ehemaligen Bürgermeister Michael Häupl das zweitmeistentliehene Sachbuch in 2022, nach „Immun“ von Philipp Dettmer. Bei den Kinderbüchern ist es „Gregs Tagebuch“ .

Die Bücherei auf Twitter

Dabei gilt es, die ausgeliehenen Werke wieder zurückzugeben. Um dem zu entkommen, findet der ein oder andere eine originelle Ausrede: „Ich ziehe nach Argentinien und kann daher nicht kommen und meine Gebühren bezahlen“, schrieb ein Kunde auf der Social-Media-Plattform Facebook. Seitens der Büchereien hieß es: „Es sind grad mal 1,20 Euro offen – kein Grund gleich nach Südamerika abzuhauen.“

Hinter den humorvollen Antworten steckt Monika Reitprecht. Die Bibliothekarin befüllt seit 2009 die Social-Media-Kanäle der insgesamt 38 Büchereien der Stadt – und das mit vollem Erfolg.

Mehr als 23.000 Follower auf Twitter und fast 70.000 auf Facebook werden täglich mit Anekdoten aus dem Büchereialltag und schlagfertigen Kommentaren versorgt. Reitprechts neuesten Postings und Tweets gibt es seit März auch als Buch „Den Titel hab ich leider vergessen ... aber es ist blau“ – natürlich kann man es auch ausborgen.

Über Sarah Lechner

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