Eine Frau grüßt einen Mann extra freundlich

Kann man zu nett sein? Eine Psychologin klärt auf

Wer sich durchsetzen will, soll die Ellbogen ausfahren, heißt es. Woher stammen sonst Sprüche wie "Die Netten beißen die Hunde"?

Kann man zu nett sein? In der Gesellschaft mag das durchaus angenommen werden. Woher stammen sonst Sprüche wie "Die Netten beißen die Hunde"? Wer sich durchsetzen will, muss die Ellbogen ausfahren, sonst kommt man nicht weit. Viele Menschen glauben sogar, freundlich zu sein, sei eine Schwäche und bedeute, dass man sich nicht durchsetzen könne.

Nora Blum, Psychologin und Gründerin der Therapie-Plattform "selfapy", stimmt dem nicht zu. Sie sagt, genau das Gegenteil sei der Fall. In ihrem neuen Buch "Radikale Freundlichkeit" erklärt sie, wie man in alltäglichen Situationen durch Freundlichkeit trumpfen kann.

Liebe Frau Blum, welche Unterschiede gibt es zwischen freundlich, nett und höflich?

Nora Blum: Höflichkeit ist immer ein bisschen an Etikette gebunden. Die besagt etwa, ich sollte anderen die Tür aufhalten. Aber da fehlt für die Freundlichkeit eine empathische Grundhaltung, also das Mitfühlen mit den anderen. Dass man das nicht nur macht, weil man das eben so macht, sondern weil man eben auch eine herzliche Verbindung mit jemandem hat. Diese Empathie fehlt meistens bei der Höflichkeit.

Nett wird oft missverstanden. Viele denken, nett bedeutet einfach immer lieb zu sein und zu allem Ja und Amen zu sagen. Es ist aber ganz wichtig, dass zu Freundlichkeit auch gehört, Konflikte anzusprechen und ganz klar die eigenen Grenzen zu setzen - und eben nicht zu allem lieb Ja und Amen zu sagen.

Ein Akt der Freundlichkeit bedeutet, auch wirklich Dinge anzusprechen, ehrlich zu sein, mit meinem Gegenüber und auch mit mir selbst empathisch zu sein.

Wer freundlich sein will, muss also kein People Pleaser sein. Wie sagt man am besten "Nein" und bleibt dabei freundlich?

Blum: Der größte Hebel, um aus dem sogenannten People Pleasen herauszukommen, ist die Erkenntnis, dass es freundlich ist, meine Grenzen auch zu setzen. Denn ansonsten bin ich nicht freundlich mir selbst gegenüber, wenn ich ständig über meine eigenen Bedürfnisse gehe. 

Außerdem lasse ich mein Gegenüber auch in gewisser Weise im Dunkeln tappen. Irgendwann ist ein Limit erreicht. Wenn man zehnmal Ja gesagt hat, muss man sich beim elften Mal umso härter abgrenzen. Dann schafft man es auch nicht mehr, sich freundlich abzugrenzen.

Das bedeutet also, radikale Freundlichkeit beginnt in erster Linie bei sich selbst?

Blum: Auf jeden Fall! Für mich bedeutet radikal freundlich zu sein, eine maximal empathische Grundhaltung mir selbst und anderen gegenüber zu haben. Das heißt, dass es unweigerlich auch ganz oft zu Abwägungen kommt: Was will ich? Was will mein Gegenüber? Ich will eigentlich das Wochenende für mich haben, mein Gegenüber möchte aber bei mir übernachten. Und da gibt es keine schwarz-weiße Lösung. 

Radikale Freundlichkeit bedeutet nicht, dass man immer nur die Bedürfnisse des anderen respektieren muss, sondern letztendlich ehrlich und authentisch seine Meinung zu vertreten. 

Was hat man also selbst davon, wenn man radikal freundlich ist?

Blum: Ich würde sagen, dass es hochgradig egoistisch ist, freundlich zu sein. Denn es ist gut für die eigene Lebenszufriedenheit. Wenn man jemand anderem eine Freude macht, kann das einen richtigen Cocktail an Glückshormonen auslösen. So ein bisschen kennt man das vielleicht daher, wenn man etwa ein tolles Geschenk für eine Freundin hat. Das freut einen dann auch selbst schon. Oder wenn man jemandem helfen kann, der sich darüber dann freut. Das fühlt sich dann auch für einen selbst gut an. 

Ich sehe das selbst auch in meinem Alltag, indem ich freundlicher zu meinen Mitmenschen bin, bekomme ich auch sehr viel Freundlichkeit zurück. Selbst wenn jemand unfreundlich zu mir ist, ist es für mein Ärgerempfinden das Beste, wenn ich gelassen darauf reagiere.

Gelassen und freundlich zu reagieren, wenn jemand unfreundlich ist, ist aber gar nicht so einfach. Warum triggert uns das so?

Blum: Wir alle haben in unserem genetischen Programm dieses Kampf- oder Fluchtverhalten verankert. Wenn uns jemand angreift oder eben auch unfreundlich zu uns ist, wird das aktiviert. Dann geht sofort der Blutdruck hoch, manche bekommen vielleicht einen roten Kopf und man will eigentlich zurückkämpfen. 

Am besten helfen da drei tiefe Atemzüge in den Bauch und dann entspannt sich normalerweise auch das Nervensystem wieder. Darüber hinaus ist es einfach Training, mal anders auf die Situation zu blicken, es nicht persönlich zu nehmen, vielleicht sogar mit ein bisschen Empathie das Gegenüber anzusehen, das gerade so unfreundlich ist. Das reicht oftmals schon, damit sich die Situation entspannt.

Was kann eine freundliche Reaktion bei einer Person bewirken, die gerade unfreundlich ist?

Blum: Oft wird der Wind aus den Segeln genommen. Manchmal sind diese Personen ein bisschen verdutzt. Aber es ist eben oft so, dass es sich dann nicht weiter hochschaukelt. Ich selbst merke auch manchmal, dass es von meinem Gegenüber gar nicht böse gemeint war.

Interpretieren wir Unfreundlichkeit also manchmal falsch?

Blum: Ja, das tun wir, glaube ich, relativ häufig. Wir beziehen etwas auf uns persönlich, was gar nicht so gemeint ist. Oft hat unser Gegenüber einfach einen schlechten Tag, oder es war eine Unachtsamkeit, über die man auch einfach mal hinwegsehen kann.

Wird Freundlichkeit in der Gesellschaft oft falsch verstanden?

Blum: Es wird leider immer noch mit Schwäche und fehlendem Durchsetzungsvermögen assoziiert. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es ist ein Akt der Freundlichkeit auszusprechen, was mich stört, für meine Bedürfnisse einzutreten und auch ganz klar meine Grenzen zu kommunizieren - solange das freundlich passiert. Der Ton macht bekanntlich die Musik. Aber dieses Missverständnis, dass es freundlich ist, immer lieb zu allem Ja und Amen zu sagen, ist der Hauptfaktor, der Freundlichkeit einen schlechten Ruf beschert.

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