Messy Closet

Warum haben wir Kleidungsstücke im Kasten, die wir nie anziehen?

Fragen der Freizeit ... und Antworten, die euch überraschen werden.

Sobald eine gute Freundin von mir an einem Humana-Container vorbeikommt, zieht sie den Kopf ein und das Gefühl, ertappt zu werden, malt ihr rote Bäckchen ins Gesicht. Der Grund? Sie hat Kleiderleichen im Schrank. Und zwar nicht zu knapp. Sie kennen das? Gute Stücke, noch gar nicht arg abgerockt, sondern 1a in Schuss – aber aus irgendeinem Grund schiebt man den Kleiderhaken, auf dem sie draufhängen jedes Mal weiter, statt ihn herauszunehmen.

Ich selbst neige nicht zu derlei Sentimentalitäten und halte es mit dem Psychologen Roland Kopp-Wichmann, der einige Gründe für dieses merkwürdige „Festhalten“ nennt.

Schuldgefühle etwa, weil man das Teil einmal von jemand geschenkt bekommen hat, der für uns emotional wichtig war. Oder weil man damit ein persönlichen Erlebnis verbindet. Oder weil man sich einredet, dass man es noch irgendwann brauchen kann. Sein Tipp: Weg damit! Ganz einfach. Leider ist die gute Freundin einfach zu schwach dafür, wie es scheint. Ich habe schon einige Male versucht, ihr mit meiner männlichen Rationalität beizustehen, stand voll Tatendrang vor ihrem Kleiderschrank, aber am Ende blieb der so überfüllt wie davor.

Bei einem Gegenbesuch holt sie  mit traumwandlerischer Sicherheit die einzige Hose, die ich tatsächlich seit Jahrzehnten nicht getragen habe, aus dem Regal. „Die könntest du aber auch entsorgen. Die passt dir doch nicht einmal!“ – „Bist du wahnsinnig?“ Ich reiße ihr die Jeans aus der Hand. „Die hab ich in meinem ersten Sommer in Kalifornien gekauft!“ Surfen, Old Milwaukee am Strand, die blonde, braungebrannte Debbie, die so gut Pretenders-Songs nachsingen konnte ...

„Glaubst du, dass du da nochmal reinpasst“, fragt die Freundin höhnisch. „Ja, genau – man braucht ein Ziel, oder? Deshalb bleibt die Jeans hier.“ Ich lege sie zurück in den Schrank, ganz nach unten, weil sie mir sonst immer im Weg ist, und danke Gott, dass sie das alte „Helmet“-T-Shirt im Kasten daneben nicht entdeckt hat.

Seitdem ziehen wir beide die Köpfe ein, wenn wir an einer Humana-Box vorbeigehen. Und ich glaube zu spüren, wie meine Wangen ein wenig glühen.

Frage der Freizeit

Hier schreiben Autoren und Redakteure der freizeit abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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