
Mode-Expertin: Wieviel Kleidung ist genug und was mit dem Rest?
Modeexpertin Martina Bergmann erklärt, wie man seinen Stil findet, Fehlkäufe vermeidet und wie viele Teile es braucht, um gut gekleidet zu sein.
Die ersten Frühlingsboten wecken auch im eigenen Zuhause den Wunsch nach Neubeginn und Leichtigkeit. Der "Kleidungsschichtwechsel" zu Beginn einer Saison ist eine gute Gelegenheit, um sich von textilem Ballast zu befreien.
Dazu rät auch die Stil- und Farbberaterin Martina Bergmann: "Ich empfehle, mindestens zwei Mal im Jahr auszumisten, idealerweise im Frühling und Herbst", sagt sie im Interview. "Jetzt im Frühling kann man das Grau des Winters hinter sich lassen und die Wollpullover noch einmal pflegen, bevor sie verstaut werden."
Viele sind beim Ausmisten erstmal überfordert. Wie geht man am besten vor?
Martina Bergmann: Beim Kleiderschrank-Check empfehle ich, alle Kleidungsstücke aufs Bett zu legen, um einen klaren Überblick zu bekommen. Dabei ist es wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Jedes Kleidungsstück sollte hinterfragt werden: Wurde es regelmäßig getragen? Falls ja, darf es zurück in den Schrank.
Falls nicht, liegt es vielleicht daran, dass die passenden Kombinationsmöglichkeiten fehlen. In diesem Fall lohnt es sich, einen Extra-Stapel für diese Teile zu machen und sich bewusst mit ihrem Styling zu beschäftigen. Ein guter Maßstab ist, ob man mindestens drei gelungene Outfits mit dem Kleidungsstück kreieren kann. Ist das nicht der Fall, ist es vermutlich ein Schrankhüter und kann auf einer Kleidertauschparty getauscht oder verkauft werden.
Was macht man mit kaputten Lieblingsteilen? Reparieren, weggeben und nachkaufen?
Kaputte oder abgenutzte Kleidung sollte aussortiert werden. Falls darunter Lieblingsstücke sind, die eine Lücke hinterlassen, kann Ersatz gesucht werden – allerdings bewusst und nicht automatisch. War es der zehnte graue Pullover, sollte er nicht ersetzt werden.
Es lohnt sich auch, eine separate Kiste für Reparaturen bereitzustellen, um lockere Knöpfe wieder anzunähen oder gelöste Nähte zu schließen. Das sollte man sich vornehmen, bevor man direkt etwas Neues kauft.
Alles, was nicht getragen wird oder nicht dem eigenen Stil entspricht, kann gehen. Wer sich intensiv mit seiner Stilfindung beschäftigt, trifft in Zukunft gezieltere Kaufentscheidungen und vermeidet Fehlkäufe nachhaltig.
Wie findet man seinen Stil? Und was macht guten Stil überhaupt aus?
Ein guter Stil wirkt immer dann authentisch, wenn er zur eigenen Persönlichkeit passt. Oft zeigt sich das auch in der Reaktion des Umfelds – sobald man seinen Stil gefunden hat, wird man automatisch anders wahrgenommen. Stil entsteht jedoch nicht dadurch, dass man wahllos Kleidung nachkauft, die an anderen gut aussieht, in der Hoffnung, dass sie auch einem selbst steht.
Jeder Mensch ist einzigartig: Wir haben unterschiedliche Körperproportionen, Hauttöne, Haarfarben und Gesichtsformen, die unseren Farbtyp beeinflussen. Dazu kommen individuelle Körpergrößen, verschiedene Lebensstile und unterschiedliche Lebensphasen, die ebenfalls eine große Rolle für den persönlichen Stil spielen.
Viele lassen sich von Modeinfluencern beeinflussen. Trägt das zu einem besseren Stil bei?
Es gehört zu den größten Fehlern, sich einfach von Bildern aus dem Internet inspirieren zu lassen und Kleidung unüberlegt nachzukaufen, ohne sich vorher Gedanken darüber zu machen, ob das neue Teil überhaupt mit der vorhandenen Garderobe kombinierbar ist und ob es zum eigenen Alltag passt.
Wer planlos shoppt, füllt den Kleiderschrank mit unzusammenhängenden Teilen, die keine gemeinsame Stil-Sprache sprechen. Das Ergebnis ist dann sehr frustrierend: Trotz eines überquellenden Schranks steht man immer wieder vor der gleichen Frage – Was soll ich bloß anziehen?
Auf der anderen Seite entwickelt sich im Netz eine "Low Buy"-Bewegung, viele Menschen wollen weniger und bewusster kaufen. Wie gelingt das?
Ein erster Schritt ist tatsächlich, einfach weniger zu shoppen. Klingt banal, aber in den meisten Fällen liegt das Problem nicht darin, dass man nichts zum Anziehen hat, sondern dass die vorhandene Garderobe nicht richtig genutzt wird. Statt neue Teile unüberlegt zu kaufen, sollte jedes Stück, das in den Schrank kommt, eine echte Lücke füllen.
Eine Lücke entsteht, wenn ein bestimmtes Kleidungsstück fehlt, das vorhandene Outfits sinnvoll ergänzt – und nicht, weil man eine zehnte Variante eines bereits vorhandenen Teils hinzufügt. Eine echte Lücke kann ein Verbindungsstück sein – ein Teil, das nicht unbedingt spektakulär wirkt, aber dafür sorgt, dass du viele bestehende Teile besser kombinieren kannst. Diese Stücke sind oft unscheinbar und machen beim Shoppen weniger Spaß, erfüllen aber eine wertvolle Funktion in der Garderobe.

Martina Bergmann hilft beim Finden des eigenen Modestils
©stil-lustWie lassen sich Fehlkäufe vermeiden?
Ein einfacher Trick ist die 14-Tage-Regel: Trage das Kaufdatum direkt in den Kalender ein und beobachte, ob du das neue Teil in den nächsten zwei Wochen voller Freude ausführst. Bleibt es ungetragen im Schrank liegen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es kein Lieblingsteil wird – dann solltest du es lieber zurückgeben.
Ein weiterer hilfreicher Faktor ist der Cost per Wear-Wert, also die Kosten pro Tragen. Dieser errechnet sich aus dem Kaufpreis geteilt durch die Häufigkeit, mit der du das Kleidungsstück tatsächlich trägst. Ein günstiges T-Shirt kann dabei teurer sein als eine hochwertige Lederjacke, die du über Jahre hinweg regelmäßig trägst. Es lohnt sich also, den Fokus von Quantität auf Qualität zu verschieben – das spart langfristig Geld und reduziert den Aufwand bei regelmäßigen Kleiderschrank-Checks.
Wie viele bzw. wenige Stücke braucht es eigentlich, um gut gekleidet zu sein?
Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht, denn die perfekte Anzahl hängt von deinem Stil, deinem gewünschten Variantenreichtum und deinem Alltag ab. Auch dein Waschverhalten spielt eine große Rolle. Eine extrem reduzierte Garderobe bringt wenig, wenn du ständig warten musst, bis deine Lieblingsteile wieder sauber sind. Als Richtwert gelten etwa 30 bis 40 Teile pro Saison als ideal.
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