Thornton & Kautz Rechtsanwälte
Lebensfragen

Recht kompliziert: Darf die Neue mein Kind erziehen?

Zwei Anwälte, zwei Ansichten, eine Rechtslage: Das Wiener Duo Carmen Thornton und Johannes Kautz erzählt Geschichten aus seiner Ehe und beantwortet Fragen, die uns im Alltag beschäftigen.

Der Fall: Letztens saß ich mit meiner Tochter auf dem Sofa – wir teilen eine gewisse Schwäche für Hollywood-Filme – und sahen gemeinsam den Film „Seite an Seite“. Julia Roberts als Isabel, die junge Stiefmutter, Susan Sarandon als Jackie, die erkrankte Mutter, die ihr Platz macht – der Film ist ein Klassiker, rührt jedes Mal aufs Neue. Zwei Frauen, die am Anfang kaum ein gutes Wort füreinander finden, wachsen der Kinder wegen zusammen. Das echte Leben schreibt selten solche Drehbücher. In der Realität stirbt kein Elternteil – glücklicherweise. Stattdessen müssen Stiefeltern und leibliche Eltern nebeneinander bestehen. Und damit beginnt die eigentliche Herausforderung: Darf die neue Partnerin meinen Sohn zum Arzt bringen? Darf der neue Freund der Mutter bestimmen, wann die Ältere daheim sein muss? Diese Fragen stellen sich nicht nur im Film. Sie stellen sich in jeder Patchwork-Familie, Tag für Tag.

Mag. Carmen Thornton: 

Gleich vorweg: Auch wenn es leider in Ausnahmefällen Eltern gibt, bei denen es besser ist, wenn die Kinder gar keinen Kontakt haben; normalerweise lieben Kinder beide Eltern und wünschen sich, dass das Familienleben friedlich ist und sie keinen Loyalitätskonflikten ausgesetzt sind. Das heißt nicht, dass ein Stiefelternteil keine wichtige Rolle im Leben der Kinder spielen kann. Jede zusätzliche Bezugsperson, die sich gut um die Kinder kümmert und der sie sich anvertrauen können, ist ein unschätzbarer Gewinn. Wenn alles friedlich bleibt, ist Patchwork daher eine große Bereicherung für die Kinder.

Kein gesetzliches Erbrecht

Trotzdem haben Stiefeltern nicht dieselben Rechte, und das ist auch gut so. Denn Kinder haben zwei Elternteile und gerade nach einer Trennung ist es schon kompliziert genug, wenn sich die beiden auf Ferienzeiten, Impftermine und in Erziehungsfragen einigen müssen. Da braucht man keinen dritten Manager am Familientisch. Und es ist auch nicht Aufgabe des Stiefelternteiles, den leiblichen Elternteil zu ersetzen.

Der Gesetzgeber hat dem auch weitgehend Rechnung getragen. So gibt es zwischen Stiefeltern und -kindern kein gesetzliches Erbrecht. Sie haben nicht einmal ein Eintrittsrecht in den Mietvertrag. Es gibt auch keine Unterhaltspflicht des Stiefelternteils, man ist also nicht dafür verantwortlich, das Kind mit Kleidung auszustatten, den Urlaub zu bezahlen, sich an den Schulsachen zu beteiligen oder Taschengeld zu geben. Dass es zu einer funktionierenden Beziehung dazugehört, sich auch um die Kinder des Partners zu kümmern, steht auf einem anderen Blatt, eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht aber nicht. Allerdings bestehen bestimmte Schutzpflichten, z.B. die Verpflichtung, bei Gefahren für das Kind einzuschreiten und das Kind davon abzuhalten, bei Rot über die Straße zu laufen oder auf den heißen Herd zu greifen. Wenn man mit dem Elternteil verheiratet ist, treffen einen zusätzlich auch noch Beistandspflichten. Darunter fällt beispielsweise, dass man sich auch um die Stiefkinder kümmern muss und sie zum Arzt begleitet, bei den Hausaufgaben hilft und sie im gemeinsamen Haushalt wohnen lässt. Auch hier gilt aber, dass die letzte Entscheidung dem leiblichen Elternteil zukommt und letztlich alles nach seinen Vorstellungen laufen muss.

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Carmen Thornton ist Rechtsanwältin in Wien.

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Elternsprechtage

Nur wenn der (obsorgeberechtigte) Elternteil verhindert ist und sofort gehandelt werden muss, kann der Stiefelternteil die Kinder seines Partners in Angelegenheiten des täglichen Lebens vertreten. Er darf dann etwa im Mitteilungsheft unterschreiben, an Elternsprechtagen teilnehmen oder das Kind vom Kindergarten abholen. Gegenüber dem Kind kann der Stiefelternteil dann auch die Schlafenszeit oder die Freizeitgestaltung bestimmen. Wenn es zur Trennung vom leiblichen Elternteil kommt, hat der Streifelternteil keine besondere Rechtsstellung mehr. Übrigens: Geschenke, die Stiefeltern den Kindern während der Beziehung machen – vom Plüschtier über das Tablet bis zum Urlaub – können sie nach dem Beziehungsende nicht zurückverlangen. Nur wenn jemand über das Maß hinaus etwa Pflegeleistungen erbracht oder einen Kredit getilgt hat, könnte man in Ausnahmefällen eine Rückforderung versuchen – aber ein Kinobesuch oder Taschengeld fällt definitiv nicht darunter. Insgesamt haben Stiefeltern nur wenige Rechte, aber auch wenige Verpflichtungen. Zugegeben: Es ist nicht leicht, sich anzuhören, dass man „nur“ der Stiefelternteil ist, obwohl man alles für das Kind macht. Trotzdem ist es sinnvoll, dass rechtlich klare Grenzen gezogen werden.

 Mag. Johannes Kautz:

Also ich bewundere ja alle Patchwork-Eltern für ihr Organisationstalent. Ohne meine Frau hätte ich nicht einmal die Termine für unsere zwei Kinder im Griff. Schularbeiten, Schulausflüge, Geburtstagseinladungen, und nahezu minütlich trudeln irgendwelche E-Mails oder WhatsApps von der Schule oder aus Eltern- gruppen ein, das alles zu organisieren ist schon ziemlich viel Aufwand. Wenn man alles dann auch noch mit einem möglicherweise ungeliebten Ex-Partner absprechen muss, ist es noch komplizierter – und wenn dann noch ein Stiefelternteil dazu kommt, ist das Chaos perfekt.

Anpassungen für Patchworkfamilien

Auch wenn klar ist, dass Stiefeltern natürlich keine Obsorge haben und damit keine rechtlichen Entscheidungen treffen können, ist es doch so, dass die meisten Erziehungsentscheidungen im Alltag stattfinden. Wie viel dürfen die Kinder fernsehen, wie lange dürfen sie abends ausgehen, das sind Themen, die Kinder in Wahrheit viel mehr bewegen, als wer für sie beim Arzt oder bei Behörden unterschreibt. Die Entscheidung über solche Erziehungsfragen trifft aber derjenige, der auch die Aufsichtspflicht für die Kinder übernimmt. Und das ist eben nicht immer der leibliche Elternteil. Der Alltag kann nur funktionieren, wenn auch ein Stiefelternteil gewisse Entscheidungen treffen kann.

Der Gesetzgeber hat die wachsende Bedeutung von Patchworkfamilien erkannt und einige wichtige Regelungen eingeführt. So haben Arbeitnehmer das Recht auf Pflegeurlaub, wenn sie die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder ihres Ehegatten oder Lebensgefährten pflegen müssen. Es besteht auch die Möglichkeit, seine Stiefkinder betragsfrei in der Krankenversicherung mitversichern zu lassen, wenn man mit ihnen im selben Haushalt lebt. Auch eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die Betreuung von Stiefkindern ist möglich, sofern man mit dem leiblichen Elternteil des Kindes verheiratet ist (eine bloße Lebensgemeinschaft ist hier nicht ausreichend). Erst kürzlich hat der Gesetzgeber im Bereich der Telearbeit (Homeoffice) den Lebensrealitäten von Patchworkfamilien insofern Rechnung getragen, als auch Stiefkinder als nahe Angehörige gelten und daher Telearbeit in der Wohnung eines Stiefkindes verrichtet werden darf. Dies zeigt, dass die faktische Betreuung durch Stiefelten in der Rechtsordnung durchaus anerkannt ist.

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Johannes Kautz ist Rechtsanwalt in Wien.

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Kontaktrecht für Stiefeltern

Es gibt auch viele Stiefeltern, die ein außer- gewöhnlich gutes Verhältnis zu ihren Stiefkindern haben, teilweise sogar, nachdem die Beziehung bereits beendet ist. Das hat auch der Oberste Gerichtshof anerkannt, der vor einiger Zeit entschieden hat, dass auch Stiefeltern nach der Trennung ein Kontaktrecht eingeräumt werden muss, wenn die Bindung sehr eng ist und der weitere Kontakt im Kindeswohl liegt.

Stiefeltern mehr Platz einzuräumen und sie nicht nur als Zaungast abzustellen, führt außerdem auch nicht dazu, dass der leibliche Elternteil aus seiner Elternrolle hinaus- gedrängt wird. Für die Kinder ist es eine große Bereicherung, wenn sie noch eine weitere zusätzliche Bezugsperson haben. Das wird aber nur funktionieren, wenn der Stiefelternteil, der mit den Kindern regelmäßig zusammenlebt, auch gewisse Rechte hat. Erziehungsarbeit ist zwar mühsam, führt auch oft zu Konflikten innerhalb der alten und der neuen Partnerschaft, sie ist aber notwendig, um eine intensive Bindung aufzubauen. Patchwork kann wunderbar funktionieren. Aber nur, wenn alle an einem Tisch sitzen – nicht nur beim Abendessen, sondern auch im rechtlichen Gefüge.

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