Trotz Beziehung getrennt wohnen: Was das mit der Partnerschaft macht
Nähe trotz Distanz. Wieso immer mehr Paare nicht mehr zusammenziehen, und wie sich das auf die Beziehung auswirkt.
In seiner Parabel „Die Stachelschweine“ vergleicht der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer 1851 den Menschen mit den piksenden Nagetieren: Um sich im Winter zu wärmen, drängen sie sich aneinander. Doch je näher sie sich kommen, desto stärker schmerzen sie die Stacheln des anderen.
Knapp 200 Jahre später beschäftigt uns die Frage nach der idealen Relation zwischen Nähe und Distanz in Beziehungen weiterhin. Immer mehr finden derzeit ihr Liebesglück in den eigenen vier Wänden. Diese werden für den Partner aber nicht mehr unbedingt aufgegeben.
Gwyneth Paltrow zum Beispiel verbringt vier Abende in der Woche mit ihrem Partner; die restliche Zeit ist er bei sich zu Hause mit seinen Kindern aus einer früheren Ehe.
„Alle meine verheirateten Freunde sagen, dass die Art, wie wir leben, ideal ist und wir nichts ändern sollten“, sagte Paltrow vor einiger Zeit zur Sunday Times. Und auch „Sex Education“-Schauspielerin Gillian Anderson erklärte der Sunday Times, dass sie nicht mit ihrem Partner (Peter Morgan, Anm.) zusammenlebe: „Das wäre unser Ende.“
Getrennt und doch zusammen
„Living Apart Together“ – kurz LAT – nennt sich die Beziehungsform, bei der Paare zwar in einer monogamen Beziehung, aber dennoch in zwei getrennten Wohnungen leben.
Eine Studie der Berliner Humboldt-Universität zeigt, dass die Zahl der LAT-Partnerschaften in Deutschland zwischen 1992 und 2006 um mehr als 70 Prozent anstieg. In Kanada leben in etwa acht Prozent aller Paare in diesem Beziehungsmodell, in Großbritannien zehn. In Österreich zieht das Konzept vor allem Jüngere an; laut aktuellem Bericht des „Generations and Gender Programme“ der Vereinten Nationen, sind mehr als ein Drittel zwischen 18 und 25 Jahre alt.
Ich-linge mit Grenzen
Aber warum ist dieses Modell so beliebt? „Naja“, sagt Psychotherapeutin Ines Gstrein vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapeuten. „Wir sind in den vergangenen Jahren ein wenig zu Ich-lingen geworden.“ Es geht viel mehr als früher ums Nein-Sagen, Grenzen stecken, Abgrenzen. „Das ist nicht wertend gemeint“, fügt sie hinzu. Aber das hat natürlich Auswirkungen auf unser Miteinander.
An sich, und das ist vielleicht das Komplexe an dem Thema, kann der Wunsch nach Distanz aus zwei entgegengesetzten Gründen entstehen: Wer als Kind eine sichere Bindung erlebt hat und als Erwachsener gefestigt ist, dem gelingt es eher zu vertrauen: sich und anderen. Man hält Distanz nicht nur gut aus, man strebt vielleicht sogar nach ihr.
Demgegenüber steht jene Person, die auf Distanz geht, weil sie Nähe vermeidet. Sie hat Angst, in einer Beziehung verschlungen oder eingesperrt zu sein und wähnt sich mit der Distanz in Sicherheit.
Sich Raum nehmen
Wenn Gillian Anderson im Guardian erklärt, dass sich das getrennte Leben so gut anfühlt, weil es „nichts gibt, was uns einsperrt, nichts, was die Angst hervorruft: ,Oh Gott, ich kann niemals weggehen, was wird mit unserem Haus passieren, wenn wir uns trennen?’“
Oder wenn Gwyneth Paltrow meint, dass getrennt leben hilft, die Idee zu bewahren, dass jede Person ihr eigenes Leben hat. Dann klingt das für Gstrein nach Personen, die eventuell in früheren Beziehungen unter anderem nicht genügend Raum bekommen haben.
Keine Lust auf Kompromisse
Spannend ist aber auch, dass sich vor allem Frauen für dieses Modell aussprechen. „Wir dürfen nicht vergessen“, sagt Gstrein, „es ist noch nicht lange her, da durften Frauen kein eigenes Konto haben, oder der Mann musste zum Vorstellungsgespräch für die Frau gehen.“
Für Frauen hat sich in den jüngsten Jahrzehnten viel geändert. Die (finanzielle) Unabhängigkeit und die Mehrfachbelastungen von Frauen erkläre vielleicht die Tendenz, im eigenen Haushalt keine Kompromisse mehr eingehen zu wollen: keine Diskussionen beim abendlichen Fernsehprogramm. Kein Jammern über herumliegende Schmutzwäsche. Keiner, der den Badezimmerspiegel verdreckt – außer man selbst. Kein Versorgungsauftrag.
Dazu passt: Während in Österreich viele Jüngere LAT als vorübergehende Lebensform sehen und einem Zusammenziehen später einmal nicht abgeneigt sind, hat mehr als die Hälfte der Über-50-Jährigen nicht mehr vor, diese Lebenssituation zu ändern: Sie haben eine Lebensform geschaffen, die durch die Beziehung bereichert, aber nicht mehr bestimmt wird.
Kommunikation ist alles
Und was, wenn nur einer nicht zusammenziehen möchte? „Dann muss man kommunizieren“, sagt Gstrein. Was steckt dahinter: Warum will Partner A eine Wohnung teilen?
Genießt die Person die Nähe oder braucht sie Bestätigung? Wieso will das Partner B nicht? Ist die Person einfach gerne alleine oder hat sie Angst vor mehr Nähe? Wir sind in einer komplexen Gesellschaft angekommen, in der viel möglich ist: Ist man exklusiv? Will man heiraten? Bekommt man Kinder? Entscheidungsfreiheit bringt Erfüllung aber auch Konfliktpotenzial. Man muss ja nicht nur wissen, was man will, sondern auch, wie sehr man dem anderen entgegenkommt. „Beziehungen sind immer Arbeit.“
In der Parabel von Schopenhauer wandern die Stachelschweine solange zwischen Kälte und Nähe, bis sie einen aushaltbaren Kompromiss gefunden haben. In Wahrheit schaffen die Tiere die Nähe schmerzfrei. Haben die Weibchen einen passenden Partner gefunden, bewegen sie sich seitlich auf ihn zu. Dann sind sie übrigens Partner auf Lebenszeit.
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