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Neues Stil-Statement: Männer tragen wieder Siegelring

Was einst Adeligen vorbehalten war, feiert ein Comeback. Ein Juwelier und eine Stil-Beraterin verraten, auf was es ankommt.

Es ist eine ikonische Szene in einem Film, der vielen als bester aller Zeiten gilt. Zitternd sitzt in „Der Pate“ ein Bittsteller vor dem von Marlon Brando gespielten Gangsterboss Vito Corleone in dessen sinistren Arbeitszimmer. Er bittet ihn um einen Gefallen, besser gesagt um Rache für seine fast vergewaltigte Tochter. Doch der Mafioso ist unrund, er fordert Respekt ein. Da verneigt der Vater sich, nennt Corleone „mein Pate“ und küsst ihm den Ring. Und siehe da, sein Wunsch wird ihm gewährt. 

Der Kuss ist eine Geste der Unterwerfung, die Anerkennung von Autorität, ein Treueschwur. Der Ring steht in diesem Falle vor allem für eines: Macht. Wenn Männer in der Vergangenheit Ringe trugen, hatte das meistens damit zu tun, ihren Status zu demonstrieren. Gefragt war das Geschmeide am Finger weniger als schmückender Tand oder gefällige Zierde, sondern vielmehr als Zeichen von Zugehörigkeit und hohem Stand, Loyalität und Tradition. Doch die Zeiten ändern sich.

Rollenspiele und Male Energy

Bis vor kurzem galt noch die goldene Regel: Der einzige Schmuck, den ein Mann trägt, ist eine Armbanduhr. Das hat sich geändert. Ketten sind gefragt, ebenso Ohrringe, die Gen Z deutet Schmuck neu. Das Paradoxe daran ist die doppelte Interpretation dabei.

Einerseits ist der Umstand, dass die jungen Herren der Schöpfung zu allerlei Klunker greifen, Ausdruck eines genderfluid und non-binär geprägten Bewusstseins. Gezielt werden Symbole, die bisher für Männlichkeit oder Weiblichkeit standen, getauscht und Geschlechteridentitäten in Frage gestellt, man denke nur an das unverhoffte Comeback der Perlenkette.

Andererseits steht das Tragen von dicken Goldketten oder fetten Statement-Ringen, wie sie früher nur Gangsta-Rapper trugen, ganz im Zeichen der neuen Male Energy. Eine bewusste Gegenbewegung zu einer feminin gewordenen Welt, wie deren Anhänger sie beklagen. Die Folgen zeigen sich in einem konservativen Weltbild und auch im modischen Auftreten – neben Muskeln betonender Kleidung und Bart eben auch die Virilität unterstreichender Schmuck. Neben der Rolex darf es gern ein toller Ring sein. Und was sagt mehr über hohen Status aus als ein Siegelring?

Zwei Hände mit Siegelringen

Statussymbol Siegelring: für die einen Verkörperung von Macht und Männlichkeit, für die anderen Mode 

©Midjourney

„Wir fertigen seit 140 Jahren Siegelringe an. In jüngerer Zeit ist die Nachfrage bei uns eindeutig in die Höhe geschossen“, erklärt Katharina Sturzeis, Chefin des Juweliers Halder in Wien. „Der Siegelring ist wieder in Mode – ob mit Wappen oder ohne.“

Im alten Rom trug die Oberschicht Siegelring, auch im Mittelalter und der Renaissance ließen Adelige sich ihr Familienwappen auf den Ring gravieren und versiegelten, indem sie ihn in Lack drückten, Dokumente und Briefe, womit sichergestellt war, dass diese authentisch sind. Männer, die heute einen Siegelring beauftragen, müssen hingegen kein Graf oder Herzog sein (in Österreich sind solche Titel offiziell ohnehin bedeutungslos). 

Auch müssen sie nicht dem Klerus angehören – der berühmteste Siegelring der Welt ist wohl jener des Papstes, der sogenannte „Fischerring“, in den der Name des katholischen Oberhaupts eingraviert ist und das den Apostel Petrus in einem Boot zeigt, wie er ein Fischernetz einzieht.

„Es gibt Kunden, die sich ein Bürgerwappen oder ein Fantasiewappen gravieren lassen – und manche auch ihr Sternzeichen, das Monogramm oder den Lieblingsbaum“, so Juwelier-Chefin Sturzeis. „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“ Männer mit Siegelring haben Sendungsbewusstsein, ist das schmucke Teil doch schon von Weitem erkennbar. Ihr Selbstbewusstsein changiert irgendwo zwischen Tradition und Individualität. „Ein Siegelring wird mit Stolz getragen.“

Die beliebtesten Steine

Den typischen Kunden? Gibt es nicht, erzählt Sturzeis aus erster Erfahrung in ihrem Geschäft in der Reitschulgasse in 1010 Wien. Vom 18-jährigen Jüngling, der zur Matura einen Siegelring bekommt, bis zum Senior sei alles dabei. Der Preis? Beginnt bei Halder bei 580 Euro, es gibt aber auch Siegelringe für 2.500 Euro. Der Traditionsjuwelier verarbeitet ausschließlich Gold, Silber und echte Edelsteine, alles per Hand in der hauseigenen Werkstatt. Auch für diverse europäische Herrscherhäuser, wobei deren Namen dem Wunsch nach Anonymität unterliegen. 

Unter gängigen Kunden am beliebtesten: der klassische Lagenstein. Andere Möglichkeiten sind der blutrote Jaspis Karneol, der königlich blaue Lapislazuli oder der schwarze Onyx, aber auch außergewöhnliche Steine wie der durchsichtige Bergkristall oder Aquamarin, der grüne Peridot, der gelbe Citrin oder der Regenbogenstein Turmalin. Der Lagenstein besteht aus mehreren Schichten, die sich über Millionen von Jahren gebildet haben. Die Unterseite ist schwarz, die Oberseite blau. Durch das Gravieren wird die obere Schicht durchbrochen und das kontrastierende Schwarz kommt durch.

Hand mit goldenem Siegelring

Stil am Finger: Wer kein Familienwappen besitzt, kann sich ein Fantasiewappen kreieren

©Midjourney

Wer damit den mit Gänsekiel und Tinte verfassten Liebesbrief an die Angebetete versiegeln möchte, kein Problem. Zehn Wochen dauert die Ring-Anfertigung beim Juwelier: ein Goldschmied bearbeitet das Metall (Weißgold, Gelbgold, Roségold, Silber), ein Steinschleifer das edle Geschmeide, zusätzlich wird der Stein gefasst und graviert. Für besondere (und reiche) Kunden darf es auch ganz edel sein: Der teuerste Stein, den Halder je verarbeitet hat, war ein Smaragd, der mehrere tausend Euro wert war. Übrigens, so ein neuer Trend, tragen manche den Siegelring auch als Ehering – sie den klassischen, er den Siegelring.

König Charles liebt seinen Siegelring

Welche Gründe Mann auch immer für den Fingerschmuck hat, eine Stilberaterin wie Susana San Sebastian jubelt jedenfalls darüber: „Endlich tragen Männer wieder Ringe“, freut sie sich. Die Gründe dafür ortet sie im gewachsenen Modeverständnis und der Bedeutung, wie man sich vor seinen Mitmenschen darstellt. Man legt wieder Wert auf einen speziellen Stil, möchte sich von anderen abgrenzen und mittels Schmuck besser ausdrücken, was einen besonders macht.

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Cool: Al Pacino als „Der Pate“ verkörpert Tradition und Macht

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San Sebastian erkennt dabei drei Kategorien. Klassisch-elegant: Hier wählt der Träger einen Siegelring mit Wappen (kann auch vom Lieblingsfußballklub sein) oder Muster, er symbolisiert Zugehörigkeit. Extravagant: Für Männer, die mehrere Ringe an einer Hand tragen, aus unterschiedlichen Metallen (Materialmix ist erlaubt) und Steinen – das wirkt provokant und rebellisch. Verspielt: extravagante, verschnörkelte, detaillierte Ringarbeiten deuten auf eine individualistische und unkonventionelle Persönlichkeit hin.

Im Mittelalter wurde der Siegelring übrigens gerne am Zeigefinger getragen, heute meist am Ringfinger. Einer, der ihn am (linken) kleinen Finger trägt, ist König Charles III. – seinen Siegelring legt er seit 50 Jahren niemals ab. Der Ring ist aus Gold, darauf eingraviert ist „Prince of Wales“, sein einstiger Titel. Selbst zur Krönung trug er ihn. Besonders bemerkenswert: Charles trägt den Siegelring über dem sich ebenfalls am kleinen Finger befindlichen Ehering, das hielt er so bei Diana, wie auch bei Camilla. Das Königreich und die Gattin – um den kleinen Finger gewickelt.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

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