Bobby Herrmann-Thurner sitzt auf einer Bank, trägt einen dunkelblauen Jumpsuit und rosa Haare.

Plus-Size-Expertin: „Der Druck auf Dicke ist massiv gestiegen“

Die Wiener Bloggerin Martina „Bobby“ Herrmann-Thurner fordert mehr Akzeptanz und ein Ende der Gewichtsdiskriminierung.

Auf Instagram posiert Martina Herrmann-Thurner in bunten Kleidern und coolen Jumpsuits, rosaroten Haaren und großen Cateye-Brillen. Ihre Fotos und Beiträge sind mehr als eine modische Inspiration. Kleidung ist für sie ein Ausdruck von Selbstermächtigung, Teilhabe und Akzeptanz.

Die 45-jährige Wienerin, die sich Bobby nennt, ist eine der lautesten Stimmen der Plus-Size-Bewegung in Österreich. Vor zehn Jahren startete sie das Blogazine Curvect, um mehrgewichtigen Menschen eine Lifestyle-Plattform zu geben. In ihrem Podcast „Fat Business“ spricht sie mit einer Bloggerkollegin über Gewichtsdiskriminierung. Unter demselben Titel ist nun ihr erstes Buch erschienen (siehe unten).

Falsche Vorurteile

„Ich war schon als Kind dick“, erzählt die studierte Politikwissenschafterin im Gespräch mit dem KURIER. „Dick“, das ist für sie kein Schimpfwort, sondern eine neutrale Beschreibung ihres Körpers. So, wie andere eben „schlank“ sind. Mit dem Unterschied, dass „dick“ mit einer Vielzahl an negativen Vorurteilen behaftet ist, die über Jahrzehnte weitergegeben wurden. Das betrifft vor allem den Gesundheitsbereich. „Dicke Menschen werden immer nur in einem medizinischen Kontext gesehen. Das ist nicht nur einseitig, sondern auch zu kurz gegriffen“, kritisiert die Bloggerin. „Die Annahme, dass jeder Dicke krank ist, ist genauso falsch wie die Annahme, dass jeder Dünne gesund ist.“

Begriffe

Body Positivity
Bewegung mit dem Ziel der Gleichbehandlung aller Körperformen und Hautfarben.

Mehrgewichtig
Nicht wertende, neutrale  Beschreibung für Menschen, deren Körpergewicht bzw. BMI über dem Schnitt liegt.

Fat Shaming
Strukturelle Benachteiligung mehrgewichtiger Menschen.

Ihr Appell: Patienten individuell und in ihrer Gesamtheit zu betrachten – nicht nur ihre Kilos. Sie selbst sei mit sieben Jahren zum ersten Mal von einer Kinderärztin auf Diät gesetzt worden – „und das, obwohl ich ein sehr aktives, gesundes Kind war“. In der Pubertät litt sie darunter, dass sie beim Shoppen mit Freundinnen keine passende Kleidung fand. Auch bei ersten Datingversuchen stand ihr Gewicht ihr oft im Weg. „Egal, was ich machte: Mein dicker Körper hat mich von meinen Freundinnen unterschieden.“

Befreiungsschlag

In ihren Zwanzigern beschloss Herrmann-Thurner, sich zu befreien. Von gesellschaftlichen Erwartungen, Klischees und Schönheitsnormen. „Ich selbst hatte ja kein Problem mit mir. Es waren die anderen, die ein Problem mit mir hatten. Also habe ich einfach aufgehört, gegen meinen Körper anzukämpfen.“

Heute kämpft Herrmann-Thurner, die seit 20 Jahren in einer Beziehung lebt, wieder: für Menschen, die aufgrund ihrer Körperform diskriminiert, ausgegrenzt und beleidigt werden. Man muss nicht jeden dicken Menschen schön finden, betont sie. Aber respektvolles und höfliches Verhalten steht ihnen zu. „Dicke dürfen nicht aufgrund ihres Gewichts schlecht behandelt werden. Viele von uns bekommen im Netz Morddrohungen.“

Studien zeigen zudem, dass sich mehrgewichtige Menschen aus Angst vor Vorverurteilung oft nicht trauen, zu Ärzten zu gehen. Dass schlanke Menschen als leistungsfähiger und tüchtiger eingestuft werden und daher bessere Karrierechancen haben, gilt ebenfalls als belegt.

Dünn gespritzt

Die Abnehmspritze – ein Durchbruch für Patienten mit Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes – hat den gesellschaftlichen Blick auf Plus-Size-Personen wie Herrmann-Thurner noch einmal verändert. „Der Druck auf Dicke ist dadurch massiv gestiegen“, stellt sie fest. „Niemand muss mehr dick sein, denn die Spritze ermöglicht ein dünnes Leben, so das Vorurteil. Wenn ich gesundheitliche Probleme habe, werde ich mit meinen Ärzten die beste Lösung für mich finden. Ich möchte aber bitte nicht zu einem Medikament gezwungen werden.“

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Bobby Herrmann-Thurner: „Fat Business“,  Kremayr & Scheriau, 176 Seiten,
25 Euro

©Verlag

Viele einstige Vorbilder der Plus-Size-Bewegung, darunter die Schauspielerin Rebel Wilson oder die Rapperin Lizzo, haben durch Abnehmmedikamente zuletzt viel Gewicht verloren. Wie die Wienerin das findet? „Wir leben in einer Gesellschaft, die schlanke Menschen bevorzugt. Daher kann man auf persönlicher Ebene niemandem einen Vorwurf machen. Doch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und Vorbilder sind, sollten sich gut überlegen, ob sie für Abnehmmittel Werbung machen. Etwas selbst zu nehmen oder zu empfehlen, das sind zwei Paar Schuhe.“

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