Eine altmodische Frucht, die nie aus der Mode kommt

Der Hochsommer ist die beste Zeit, neue Bekanntschaften zu schließen, ob in der Ferne oder zuhause. Wir schauen genauer hin und entdecken in Parks und lichten Wäldern eine wilde, altmodische Frucht: das Kriecherl. Veredelt kaufen wir sie als Ringlotte am Markt ein.

Schon zeitig in der Früh liegt Sommerhitze in der Luft, als ich an diesem friedvollen Samstag über den Bauernmarkt spaziere. Die Bäuerinnen haben ihre reiche Beute auf die mitgebrachten Tische gestapelt – welch eine Fülle an Farben und Formen! 
Zarte Zucchini mit ihren Blüten machen Lust auf Antipasti vor der Grillerei, daneben liegen gelborange Ringlotten. Die ältere Standlerin lacht mich an: „Kosten S’ doch eine, in meinem Garten in Niederösterreich biegen sich die Äste, weil die Ernte heuer so reich ist.“ Ich beiße mich durch die säuerliche Schale und werde mit herrlich saftiger Süße belohnt.

Eine Höllenmischung

Die Ringlotte ist eine wunderbar altmodische Frucht, sie wächst schon seit der Jungsteinzeit bei uns und ist wohl aus Schlehe und Kirschpflaume entstanden. Die Wilde ist das Kriecherl, die Edlen sind Ringlotte und Mirabelle. In Frankreich gibt es Reineclauden, nach einer französischen Königin benannt, die das Obst sehr schätzte. Zurück ins Café. Ich zeige meinen jungen Mitarbeiterinnen die kleinen Früchte und erschrecke, da einige von ihnen offenbar zum ersten Mal Ringlotten sehen, das muss ich schleunigst ändern. Dieses Mal erscheint ein Drink eine gute Möglichkeit, die Jungen an neues Obst heranzuführen. Der Älteste ist sofort Feuer und Flamme, ein Tumbler wird vom höchsten Regal geholt, die Ringlotten werden mit Zucker und Zitrone zerquetscht, Gin, Prosecco und Eiswürfel werden dazugeschüttelt und fertig ist die Höllenmischung. Mir schwinden bereits nach zwei Schlucken die Sinne, meine Mitarbeiterin kostet vor jedem Gang in den Schanigarten ein wenig und erklärt kichernd die Ringlotte zu ihrem neuen Lieblingsobst. 

Tipp

Beim Kauf der Ringlotten auf aromatischen Duft achten
 

So wird das nichts, ich starte einen zweiten Anlauf in unserem Ferienhaus. Dort koche ich die orangen Früchte mit Zucker und Zitrone ein; Lavendelblüten geben ihr betörendes Sommeraroma dazu. Zuckerlustig wartet der Sirup darauf, uns den Aperitif zu versüßen. Nach der Gartenarbeit steht die Sonne plötzlich tiefer und ich rufe: „Schnell, wir haben noch zehn Minuten auf unserem Sonnenbankerl, lass uns den neuen Drink! verkosten!“ 
So sitzen wir dann, erdverkrustet und ein wenig verschwitzt, auf dem Hausbankerl, als die Nachbarin den Teller zurückbringt, den ich am Vormittag mit Marillenkuchen bestückt vor ihre Haustür gestellt habe. Unter Lachen wird sie überredet, das neue Rezept zu probieren – quasi als Arbeitsapéro. Zwei Stunden später sitzen wir immer noch da, haben dem Drink den Namen „Lotti“ gegeben und auch unseren Segen, allen Lesern Sommerglück zu bringen. Doch da denke ich an meine Freundin, die sich schon lange einen alkoholfreien Aperitif wünscht. Kurz entschlossen spritze ich den duftenden Sirup mit Soda auf, dekoriere mit frischen Kräutern und Lavendel – fertig ist der flüssige Sommernachtstraum.

Über Nicole Ott

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