Nicht die Bohne: Wieso jetzt Kaffee aus Pilzen getrunken wird

Superfood? Kaffeebohnen alleine reichen schon lange nicht mehr. Nach Matcha und Kurkuma schwören Stars nun auf gesundheitsförderliche Wirkung von Vitalpilzen in Cappuccino und Co.

Sehen kann man es nicht. Das Granulat in der zylinderförmigen Dose ist genauso schokoladebraun und fein gemahlen wie der gewöhnliche Kaffee, der täglich ins Sieb der Espressomaschine gelöffelt wird.

Doch dieser Kaffee soll nicht nur aufmuntern, sondern gleichzeitig beruhigen. Und, wenn man den Stars, die ihn bewerben glauben möchte, das Leben überhaupt noch ein bisschen verlängern. Nach Matcha und Kurkuma erobert die nächste Alternative den Kaffeemarkt: Pilze.

Dabei darf man sich weder pulverisierte Eierschwammerln noch Parasole vorstellen.

Sondern sogenannte Vitalpilze: Porlinge wie Reishi, Chaga oder Lion’s Mane, die seit Jahrtausenden in der chinesischen Medizin gegen Allergien oder Bluthochdruck eingesetzt werden, denen manche auch verjüngende oder krebsheilende Wirkung zusprechen. Im Westen sind sie als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Vormarsch und werden nun auch in Kaffeeform angeboten.

Alter Kaffee

Ganz neu ist Pilzkaffee aber eigentlich nicht. Denn als im Zweiten Weltkrieg die Kaffeebohnen in Europa ausgingen, wurden die Menschen kreativ. Sie brauten Kaffee aus gerösteten Feigen, gemahlenen Eicheln oder – wenn sie in Finnland lebten – aus Chaga-Pilzen

Dazu wurden die Schwämme über Nacht in Wasser eingeweicht und die Flüssigkeit ausgepresst. Dass der Zusatz anders schmeckte und keinen Koffein beinhaltete, war dabei gar nicht so wichtig. 

©J. Hornig

Hannes Andexer, Historiker und Chef-Barista von J. Hornig: Es ging mehr um einen Moment der Normalität, der Geborgenheit inmitten des Schreckens. „Auf einen Kaffee zu gehen“ – das sei ja mehr als das Konsumieren eines koffeinhaltigen Heißgetränks. Das sei eine Kulturtradition, ein Ritual.

Mehr Energie, weniger Herzrasen

Nun ist der Pilzkaffee also zurück – und diesmal mit (vermeintlich) gesunder Wirkung. Bereits 2017 gründete der Finne Tero Isokauppila die Firma Four Stigmatic. Sein „Mushroom Coffee Mix“ soll für einen sanfteren, aber lang anhaltenden Energiekick, geistige Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden sorgen.

Mit diesem Konzept blieb er nicht lange allein. „Fokus, Immunität, Energie“ soll der Pilzkaffee von Dirtea bewirken. „18 entzündungshemmende Adaptogene (Nahrungsmittel, die Stress abbauen, Anm.)“ sollen sich im Kaffee von Moksha befinden. Stundenlang soll man dank der Kaffeebox von London Nootronics durch Meetings kommen; Gehirnnebel adé.

Kaffee zum Einschlafen

Herzogin Meghan

Herzogin Meghan

©APA/AFP/SUZANNE CORDEIRO

Vergangenen Dezember ging auch noch ein Werbevideo mit Meghan Markle als kistenpackende Praktikantin und damit die dazugehörende Firma (an der Markle Anteile hat) viral: Clevr. Die Kalifornierin Hannah Mendoza bietet mit diesem Getränkelabel unter anderem den entkoffeinierten „Sleeptime SuperLatte“ mit Kräutern und Pilzen an, der nach Cappuccino schmecken und das Einschlafen erleichtern soll.

Zeit für den Selbsttest. 

©Bauer Anna-Maria

Etwas heller als gewöhnlich fließt das Heißgetränk aus dem Espressokocher in die Tasse zur bereits geschäumten Milch. Der Cappuccino schmeckt dann sanft, aber dennoch herb. Ungewohnt aber nicht unangenehm. Nach wenigen Minuten wirkt die Aufmerksamkeit gesteigert. (Oder kommt das nur von der angestrengten eigenen Beobachtung?) Unweigerlich zu spüren: Das schnellere Herzklopfen, das den normalen Kaffeegenuss begleitet, bleibt aus.

Enttäuschende Studien

Und was sagt die Wissenschaft? Die relativ wenigen Studien über Vitalpilze und Adaptogene, die am Menschen durchgeführt wurden, seien enttäuschend, schreibt Jonathan Jarry von der McGill Universität in Kanada, für das Office of Science and Society. Heraus käme, dass Adaptogene bestenfalls bei Stress und Müdigkeit helfen und weitere Studien erforderlich sind. Schlimmstenfalls gebe es keinen Hinweis, dass sie den behaupteten klinischen Nutzen haben.

In dem Fall wäre es vor allem ein teurer Kaffee. Denn während zum Beispiel 500 g Dallmayr Kaffee auf 11 Euro kommen, zahlt man für den „Lion’s Mane Mushroom Coffee“ von Cheerful Buddha ein Drittel mehr, bekommt aber zwei Drittel weniger.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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