Host Café in der St. Mary Aldermary in Zentrallondon

Himmlisch dinieren in London: Ein Gebet vom Genuss

In Großbritannien werden rund 25 Kirchen pro Jahr entweiht; manche von ihnen werden zu Gourmettempeln.

Majestätische Gebäude mit Christbäumen, Krippenspiele vor eleganten Buntglasfenstern, durch die warmes Licht fällt: Das Kirchenhaus ist wie kein anderes mit dem Heiligen Abend verbunden. Doch was, wenn in den prunkvollen Gebäuden nicht nur der Hunger der Seele gestillt wird? Wenn der Duft von Weihrauch nicht als einziger durch die Kirchenbänke zieht und statt Hymnen und Predigten Stimmengewirr und Lachen durch das Gewölbe hallt.

In Großbritannien werden jedes Jahr bis zu 25 Kirchen für Gottesdienste geschlossen. Das ist nicht ungewöhnlich. Auf der ganzen Welt erhalten ungenutzte Kirchen einen neuen Zweck. Sie werden zu Kunstgalerien (wie San Pellegrino in Italien), Buchhandlungen (z. B. St. Clement in den Niederlanden) oder zu Wohnhäusern (das riesige Projekt von Linc Thelen Design in Chicago). Hin und wieder finden sie ihre neue Bestimmung als Orte, an denen nicht nur der Geist, sondern auch der Körper genährt wird, und ihr Ambiente erstaunt: Baristakunst neben den filigranen Schnitzereien; hohe Fenster, deren Farben durch die Spirituosen vor ihnen ergänzt werden. Und dann gibt es Cafés in funktionierenden Kirchen, in denen Ehrenamtliche den Gemeinden einen Raum des Komforts und der Erfrischung bieten.

Eine Erkundung für alle, die beim nächsten Städtetrip eine ungewöhnliche Kaffeepause einlegen möchten.

Mit Gin & Tonic am Taufbecken: Mercato Mayfair 

Mercato Mayfair in der St. Mark's Church in London

Mercato Mayfair in der St. Mark's Church in London

©Ben Broomfield @photobenphoto/Mercato Metropolitano

Das extravagante Mayfair hat viele feine Orte, aber die St. Mark’s Church ist einer der fantastischsten. Schon die griechischen Säulen heben sich stark von den  roten Backsteinhäusern in der North Audley Street ab. Doch nahezu surreal wird es im Inneren; empfangen einen  doch nicht nur mediterrane Gerüche und Stimmengewirr, sondern eine geschäftige Food Hall in einer eindrucksvollen Kirchenhalle. Der „Mercato Mayfair“ (dessen Betreiber in Wien den Gleisgarten eröffneten) bietet seit 2019   in den beiden Seitenschiffen  italienische Pasta, neapolitanische Pizza, asiatische Dumplings oder deutsches Bier. Neben dem Taufbecken kann man Cocktails bestellen und im ersten Stock leuchten die Glasflaschen der Spirituosen mit dem bunten Kirchenfenster um die Wette.
St. Mark's Church, N Audley St, London W1K 6ZA

Lust auf Cappuccino und Croissant? Auf in die Katakomben! Café in the Crypt

Café in the Crypt in London

Café in the Crypt in London

©Bauer Anna-Maria

Auf großen touristischen Plätzen  sucht man unaufgeregte Kaffeehäuser häufig vergeblich. Doch ausgerechnet am geschäftigen Trafalgar Square mit  seinem 19 Meter hohen Tannenbaum, gibt es ein verstecktes Kleinod.  Dazu müssen die  gewundenen Stiege neben der 1726 errichteten St. Martin in the Fields-Kirche an der östlichen Seite des Platzes hinabgestiegen werden. Statt leiblicher Überreste (die gibt es schon seit dem Beginn des  19. Jahrhunderts nicht mehr)  findet man „The Crypt“, ein Kaffeehaus  samt Geschenkeladen und Veranstaltungskalender. Beim Öffnen der Glastür schwappt warme Luft und emsiges Besteckklappern entgegen. Die quadratischen Tische  unter dem Backstein-Gewölbe sind zu fast jeder Zeit gut gefüllt.  Kulinarisch kann  man zwischen herzhaften Suppen, Sandwiches oder stärkender Pie mit Wurzelgemüse und Erdäpfel wählen. Wer vorher Bescheid gegeben hat, kann sich auch eleganten Afternoon Tea mit Gurkensandwich genehmigen, und Mittwochabend schwingt Jazz durch das Untergrundlokal.
St. Martin in the Fields, Trafalgar Sq, London WC2N 4JJ

Kaffeepause in der Kirchenbank: Host Café  

Host Café in der St. Mary Aldermary in Zentrallondon

Host Café in der St. Mary Aldermary in Zentrallondon 

©Bauer Anna-Maria

Eine Frage wird Karolina Zmudz immer wieder gestellt: „Ein Kaffeehaus in einer funktionierenden Kirche, geht das?“  Die  Kaffeehausmanagerin muss dann immer schmunzeln. Und ja, sagt sie stets, es geht. Vor elf Jahren wollte die Moot Community der St. Mary Aldermary in Zentrallondon ihr Gotteshaus für die größere Community öffnen. Und so werden im hinteren Teil der hellen anglikanischen Kirche Scones, Brownie oder Focaccias angeboten, während dahinter die Kaffeemaschine summt. Die Gäste können mit ihren Heißgetränken übrigens nicht nur auf den langen Holztischen, sondern sogar in den Kirchenbänken  Platz nehmen.
St Mary Aldermary, 69 Watling St, London EC4M 9BW  

©Grafik

Ein Gotteshaus für eine genussfreudige Gemeinschaft der Geschäftsleute: The Wren Coffee

The Wren Coffee in St. Nicholas Cole Abbey

The Wren Coffee in St. Nicholas Cole Abbey

©The Wren Coffee

Nur  ein paar Gehminuten vom Host Café und 300 Meter von der imposanten St. Paul’s Cathedral entfernt, befindet sich eine weitere Kirche im Design von  Stararchitekt Sir Christopher Wren: die St. Nicholas Cole Abbey.  Ein Gotteshaus mit schmerzhafter Geschichte.  Zunächst wurde sie im Großen Feuer von London 1666  komplett zerstört –  anschließend jedoch von Wrens Team  wiederaufgebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie durch einen Bombenanschlag schwer demoliert, aber einmal mehr wieder aufgebaut. Als sie dann zu Beginn des neuen  Jahrtausends zu  verfallen drohte, rettete sie  ein Pionierprojekt. Seit zehn Jahren finden Gottesdienste nur mehr  Donnerstagmittag und sonntags statt. Wochentags werden  Mittagspausen, Studiereinheiten oder geschäftliche Kaffeerunden abgehalten.   Im „The Wren Coffee“ findet man entspannt-anregende Atmosphäre, spannende Kirchenfenster, leise  Klaviermusik und Barista, die im Akkord den perfekten Flat White brühen.
St. Nicholas Cole Abbey, 114 Queen Victoria St, London EC4V 4BJ

 

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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