Krimi-Autor Martin Walker über seinen Liebesbrief an das Périgord
Historiker Martin Walker erzählt im KURIER, warum die Geschichte der Menschheit in Südfrankreich begann, warum er nicht Spion wurde und ob "Bruno Chef de Police" je eine Frau finden wird.
Ohne seine Wahlheimat hätte Martin Walker wohl nie den sympathischen, französischen Dorfpolizisten Bruno aus der fiktiven Kleinstadt Saint-Denis erschaffen: Der Bestseller-Autor im Interview über seine Kindheit, seinen neuesten Reiseführer (Brunos Périgord, Diogenes) und Putins Russland.
Martin Walker: In Schottland, wo meine Familie herkommt und noch immer ein Haus besitzt. Aber ein Teil von mir fühlt sich auch im Périgord zu Hause, wo wir seit 25 Jahren leben. Anfangs war es nur ein Ferienhaus, mittlerweile verbringen wir die meiste Zeit des Jahres hier. Ich finde überall Dinge, die mich faszinieren: Als ich in Moskau gelebt habe, habe ich mich gut unterhalten, aber das Essen war grässlich. Ich genieße auch ganz besonders Lesereisen – es ist immer ein großes Vergnügen, in Wien zu sein.
Wie meine Leser der Kommissar-Bruno-Reihe wissen, habe ich schon über diese geschrieben: In einer Geschichte kommt eine junge Frau aus Österreich in die Stadt, weil sie mit dem Café-Besitzer eine Affäre hat. Ihr Wiener Schnitzel, das über den Tellerrand ragt, wird begeistert aufgenommen. Und das lokale Wein-Geschäft stückt das Sortiment mit Grünem Veltliner auf. Also ich mag die österreichische Küche und den Wein wirklich sehr.
Als ich klein war, sagte meine Mutter zu mir: "Martin, die Welt ist groß, die Zeit ist kurz - schau Dir so viel an, wie Du kannst." Sie liebte es zu verreisen, begann aber erst in einem Alter von 40 Jahren damit. Meine Eltern kamen eines Tages von den Dolomiten zurück und hatten auch in Österreich genächtigt: Mein Vater war absolut begeistert von den Daunendecken, denn bei uns sind nur Tuchent und dünne Decke üblich. Von dieser Reise kam er mit zwei deutschen Wörtern zurück: "Zimmer frei?".
Meine Familie stammt von Inseln im Westen Schottlands – jeder von dort stammt von den Wikingern ab. In uns steckt also die Wikinger Wanderlust. Ich liebe zwar das Reisen, aber zum ersten Mal in meinem Leben bin ich hier im Périgord ein Gärtner geworden. Ich habe auch nie vorher gekocht – das Périgord hat mein Leben verändert.
Ja, bis ich im Alter von zwölf Jahren mit meiner Familie nach London gezogen bin. Mein Vater arbeitete im Arbeitsministerium im Zentrum Londons und ging in seiner Mittagspause nach Soho, in diesem Stadtteil gibt es besonders viele Märkte. Ich habe dort meine erste Avocado gesehen oder mein Vater brachte Ravioli nach Hause. Es war magisch, diese exotischen Lebensmittel zu probieren.
Kurz danach verbrachte ich 1961 meinen ersten Urlaub in Frankreich – ein Schüler-Austausch. Meine Augen öffneten sich für eine neue Art des Lebens. Ich habe zuvor nie ein Glas Wein getrunken, zudem war ich damals noch sehr klein und sah in meinen kurzen Hosen, den Stutzen, dem Schulblazer und mit der Kappe wie ein richtiger Schulbub aus. Also wanderte ich mit Claude den Boulevard entlang, der 16 Jahre alt, größer war als ich und die ganze Zeit rauchte. Er war so anders. Deswegen lieben meine Frau und ich das Reisen.
Zur Person
Martin Walker
wurde am 23. 1. 1947 in Schottland geboren. Sein Vater war Beamter im Arbeitsministerium, seine Mutter arbeitete mit Rechenmaschinen. In Oxford studierte er Geschichte, in Harvard Internationale Beziehungen. Danach heuerte Walker bei der britischen Tageszeitung „Guardian“ an, für die er u. a. Russland-Korrespondent wurde
Schriftsteller
Nach Sachbüchern über den Kalten Krieg, Bill Clinton oder Russland schuf er 2008 den Roman-Charakter des Gemeindepolizisten Bruno Courrèges in der fiktiven Kleinstadt Saint-Denis im Périgord in Südfrankreich. Walker selbst wohnt mit seiner Familie in Le Bugue
Ich bezeichne es als Liebesbrief an das Périgord. Der Großteil der Geschichte der Menschheit spielte sich hier ab, wo ich lebe. Das Vézère-Tal mit seinen prähistorischen Stätten, wo die Cro-Magnon-Menschen und die Neandertaler lebten. Nur einen kurzen Spaziergang von meinem Haus entfernt liegt die älteste Höhle der Menschheitsgeschichte: La Ferrassie. Die Skelette, die dort entdeckt wurden, sind bis zu 70.000 Jahre alt. Und die Kunst wurde hier in der Höhle von Lascaux geboren.
Die Römer und Wikinger waren hier, der 100-jährige Krieg und die Religionskriege fanden hier statt: Es gibt keinen anderen Platz auf der ganzen Welt, der so einen großen Einfluss auf die Weltgeschichte hatte wie diese kleine Eck Frankreichs. Ich bin noch immer begeistert – ich suche die Höhle von Lascaux noch immer jedes Jahr auf. Sie berührt mein Herz. Und wir wissen, was die Neandertaler gegessen haben – im Übrigen unterscheidet es sich gar nicht so sehr vom Speiseplan heute in Südostasien.
Anders als in Osteuropa leben die Gänse nicht in Käfigen, wo sich die Tiere nicht bewegen können. Die Vögel waren hier immer schon frei: Wenn die Glocke läutet, kommen die Vögel, um fett zu werden. Gänse haben nicht diesen Würgereflex, den wir haben. Die Vögel fressen von selbst – sie haben dadurch eine kleinere Leber. Der Ursprung der Fettleber ist nicht vom Menschen erfunden: Man darf nicht vergessen, dass Enten und Gänse Zugvögel sind, die Hunderte bis Tausende Kilometer jedes Jahr fliegen würden und Energie speichern müssen. Sie würden sich selbst stopfen und die Energie in ihren Lebern speichern.
Ich selbst esse die Stopfleber nur zwei- bis dreimal im Jahr, weil sie so üppig ist. Ich esse sehr einfach – zum Frühstück gibt es ein Ei von meinen Hennen und Toast. Ich habe hier einen Herd, der mit Holz beheizt wird, der sich sehr gut für Eintöpfe eignet. Meine Frau ist eine ganz wunderbare Köchin! Wir essen oft mir Freunden - es ist ein umtriebiges Leben im Périgord: nicht nur Schreiben, Gärtnern und Spazierengehen mit meinem Hund.
Absolut! Das gehört zum Leben dazu. Im Supermarkt kaufe ich vor allem Putzsachen.
Mai, Juni und September sind ganz wundervolle Monate hier, weil keine Schulferien sind und es nicht zu heiß ist. Der Oktober ist magisch, weil dann der Nebel von den vielen Flüssen aufsteigt: Den Nebel braucht es für den Süßwein aus dem Weinbaugebiet Monbazillac. Seitdem ich hier lebe, habe ich mit Ausnahme des Grünen Veltliners aufgehört, Weine aus anderen Regionen der Welt zu trinken. Eine göttliche Gegend hier.
Ich frage mich das nicht: Ich kann nämlich Geheimnisse nicht für mich behalten. Ich wählte die Profession des Journalismus, weil der Beruf einzigartig ist: Man kann um die Welt reisen, man kann jeden alles fragen, man sitzt in der ersten Reihe der Geschichte. Es war ein Geschenk, dass ich zu Zeiten von Gorbatschow in Moskau sein durfte.
Genauso faszinierend war es, als ich nach dem Ende des Kalten Krieges in den USA sein durfte. Die USA gestalteten mithilfe des Marschall-Plans Europa, indem sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg viel Kapital in den Aufbau der deutschen, französischen, belgischen und österreichischen Wirtschaft investierten – und sie taten dasselbe mit Japan. Die Ergebnisse sind außerordentlich, denn dadurch entstanden Wohlstand und starke Demokratien. Es ist eine Tragik für mich, dass wir US-Präsident Trumans Vision nicht folgten und das Gleiche für Moskau 1990/1991 gemacht haben. Wenn wir das damals gemacht hätten, dann hätten wir heute nicht dieses Desaster in der Ukraine.
Ja, jeder, der den Essay von Putin "Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern" im Jahr 2021 gelesen hat, hat damit gerechnet. Es war klar, was er tun würde. Und es war nach 2014 klar, als er den Krieg begonnen hat und die Annexion der Krim erfolgte. Bereits in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 attackierte er die NATO und warnte davor, nach Osten zu rücken.
Hinzu kommt Putins großes Scheitern, Russlands Wirtschaft zu modernisieren. Alles, was Russland hat, ist der Export von Öl und Gas. Russland fehlt es im Gegensatz zu den USA, England und Deutschland an Industrie. Es liegt auf der Hand, dass wir wegen des Klimawandels in der Zukunft weniger auf Öl und Gas setzen werden. Wovon will Russland in der Zukunft leben? Die Geschichtsschreibung wird mit Putin und seinen fehlenden wirtschaftlichen Reformen nicht gnädig sein – genauso wenig mit dem Scheitern von George W. Bush Senior und Bill Clinton, dass sie die Chance verpasst haben, eine neue Welt zu schaffen.
Ich wünschte, ich wüsste es.
Der große Unterschied zu 1987/1988 ist: Das Besondere waren damals nicht die demonstrierenden Mütter, sondern dass die Polizei die Augen abwandte und nicht einschritt. Die Polizei entschied damals, sich nicht wie typische Sowjet-Tyrannen zu verhalten. Aber jetzt gehen die Tyranneien und die Massen-Verhaftungen weiter. Ich weiß nicht, wie dieser Krieg enden wird. Aber Putin ist ein gefährlicher Mann, wenn er verzweifelt ist. Ich hoffe, dass er nicht auf Nuklearwaffen setzen wird. Es sind schlechte Zeiten.
Der neue Fall von Bruno "Troubadour", der 2023 auf Deutsch erscheinen wird, hat tatsächlich einen russischen Konnex: Die Geschichte handelt von einer außergewöhnlichen Spanierin namens África de las Heras Gavilán (1909-1988), die ihr Leben dem sowjetischen Geheimdienst gewidmet hat und eine führende KGB-Spionin wurde. Man kann echte Geschichte nicht verbessern.
Jenes Buch, das im Jahr darauf auf Deutsch erscheinen wird, ist ebenfalls schon fertig geschrieben. Ich arbeite gerade am 17. Fall, der 2025 auf Deutsch erscheinen wird. Ich hoffe, ich komme auf die runde Zahl von 20 Fällen.
Meine Frau sagt immer: "In dem Moment, in dem Bruno heiratet, wirst Du die Hälfte deiner Leser verlieren." Wenn er heiraten wird, dann wohl im allerletzten Buch.
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