Eskapismus pur: Wo der All-inclusive-Urlaub auch keine Erlösung bringt
Reiner Riedler, Fotograf des Eskapismus, wird im Wiener Fotomuseum Westlicht umfassend präsentiert
Warum tragen so viele Swingerclubs das Wort „Paradies“ im Namen? Warum erscheinen Menschen, die sich in ihrer Freizeit als Cowboys gerieren, dem Rest der Welt stets ein bisschen peinlich? Und warum kommen selbst jene Orte, die gehörige Ressourcen in die Schaffung ihres Ambientes investieren – exotische Discos, Themenhotels in Las Vegas, Vergnügungsparks – nicht über das ästhetische Niveau des Kitschs hinaus?
Der Fotograf Reiner Riedler, Jahrgang 1968, ist einer, der dieses Dilemma sichtbar macht. Seit vielen Jahren haben es ihm Gegenwelten jedweder Art angetan. Die erste umfassende Werkschau, die ihm das Fotomuseum Westlicht nun bis zum 15. Mai ausrichtet, führt an den Nudistenstrand an der Donauinsel, zum GTI-Treffen in Reifnitz am Wörthersee oder zu Schaumpartys in St. Petersburg.
Sie führt aber auch – in einem Rückblick auf Riedlers frühes, dem klassischen Bildjournalismus noch näherstehendes Werk – in die Ukraine, die der Fotograf um die Jahrtausendwende bereiste. Die Serie, 2003 als Buch erschienen, zeigt ein Land im Schwebezustand, geprägt vom Sowjet-Erbe, aber neugierig in alle Richtungen.
Künstliche Welten
Wenn von dieser Zeit ein roter Faden in die Gegenwart führt, dann ist es vermutlich die Lust Riedlers, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich selbst entwerfen. Wobei Riedlers Fotos auf dem schmalen Grat zwischen der Satire und der Einfühlsamkeit balancieren. Im Vergleich etwa zum Briten Martin Parr, der einen ungeniert satirischen Blick auf Urlauber in britischen Strandorten, aber auch auf Besucherinnen von Wiener Bällen warf, wirkt Riedler einfühlsamer und schonender. Eine Anklage, wie sie zum Beispiel der Tiroler Lois Hechenblaikner in seinen Darstellungen des Ischgler Partyzirkus und der Volksmusik-Szene formulierte, muss man bei Riedler ebenso länger suchen.
Gleichzeitig scheint aber klar zu sein, dass Sehnsüchte unbefriedigt bleiben müssen, so lange man sie im reinen Konsum und in der Simulation sucht: „Einer der Momente von Kitsch, die sich als Definition anbieten, wäre die Vortäuschung nicht vorhandener Gefühle“, schrieb Theodor W. Adorno – ein Paradies gibt’s eben nicht im Swingerclub, Freiheit nicht mit dem Cowboyhut, Inselfeeling nicht im Indoor-Themenpark „Tropical Islands“ in Berlin. Peinlich sehen eigentlich nur jene aus, die diesen Umstand nicht erkennen oder wahrhaben wollen.
Clubkultur im Lockdown
Zugleich ist der Wunsch nach einer temporären Flucht aus dem Regulären nichts Verwerfliches, er verbindet fast alle Menschen – auch und gerade dann, wenn die Ausgänge in Gegenwelten versperrt sind. Riedlers jüngstes Projekt „End of the Night“, auch als Fotobuch (edition Fotohof) erschienen, entstand nun während der coronabedingten Lockdowns: Der Fotograf suchte dafür die leer gefegten Clubs, Konzert- und Nachtlokale auf, die schon lange keine Besucherinnen und Besucher mehr gesehen hatten, fotografierte im harten Licht ihre zusammengestellten Barhocker, vertrockneten Deko-Pflanzen und lichtlosen Party-Beleuchtungen.
Doch Riedler nahm auch jene vor die Linse, die sich das Nachtschwärmen nicht nehmen ließen, sich Party-Orte im Freien suchten oder sich sonst wie gegen die Eintönigkeit stemmten. Aus der Distanz betrachtet – und es ist jene Distanz, die Fotografie zu schaffen in der Lage ist – können wir uns nur am eigenen Schopf aus der Tristesse ziehen.
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