Eine Würdigung: Tina Turner war immer stärker als der Song
Tina Turner war auch dann gut, wenn ihre Lieder banal waren. Hatte sie großes Songmaterial, war sie unschlagbar.
Ein Zeltfest irgendwo in Niederösterreich, Mitte der Nullerjahre. Auf der Bühne steht eine sogenannte Kommerzband, gar keine schlechte, sie haben so ziemlich alles drauf, was es zwischen Wohlfühldisco, Mitbrüllrock und Austropop zu finden gibt. Der Sänger hebt sein Glas und sagt: „Danke, Charlie, für den Fernet. Als Nächstes spielen wir Tina Turner, ,Simply The Best’, vom Charlie für die Ines.“
Es ist bereits das neunte Mal in drei Stunden, dass er eine solche Ansage machen muss, denn ungefähr jeder in diesem Zelt möchte gerne seiner Freundin dieses Lied widmen.
Im letzten Drittel ihrer Karriere war Tina Turner also auch im Bierzelt angekommen (ohne deshalb bierzeltig zu sein). „Simply The Best“ war eine ebenso banale wie ins Ohr drängende Hymne der Geschlechtlichkeit und Lebensfreude.
Es beschreibt die große Qualität von Tina Turners Stimme, dass sie auch in einem so banalen Umfeld nicht banal klang. Anders gesagt: Sie war immer stärker als der Song.
Kraft
Die Stimme: Geübt im Kirchenchor in Nutbush war sie nicht im engen Sinn schön. Tina Turner sang gepresst und mit so viel Kraft, dass sie fast das Mikrofon sprengte. Sie konnte bellen, heulen, den Mond anschreien. Sie beherrschte aber auch die geschmeidigen Töne des Soul, anlassigen R & B und Blues (man höre nur den Anfang von „Proud Mary“, „I Can’t Stand The Rain“ oder ihre laszive Interpretation von „Steamy Windows“).
Wer wirklich wissen will, wie gut Tina Turner sein konnte, muss sich aber „River Deep, Mountain High“ anhören. 1966 wollte Starproduzent Phil Spector (auch kein Guter!) mit ihr den Song aufnehmen, der Legende nach erteilte er Turners bösem Ehemann Ike zu diesem Zweck Studioverbot.
Spector errichtet seine „Wall Of Sound“, schichtet Streicher, Bläser und Chorstimmen aufeinander, als wären es Ziegelsteine, und dann kommt Tina und bläst das ganze Gebäude einfach weg. Mit mehr Kraft, Gefühl und Schmerz kann man nicht singen. Ein Ereignis.
Fantastisch ist auch „Nutbush City Limits“, das sie selbst geschrieben hat: Da geht es um die Enge einer amerikanischen Kleinstadt im Süden – und sie sprengt die Grenzen der Stadt mühelos mit ihrem hart rockenden Gesang.
Fesseln
Nach ihrem Comeback schoben ihre Produzenten und Songschreiber sie Richtung Hitparade und sie landete tief in den Achtziger-Jahren mit Songs wie „What’s Love Got To Do With It“, „Typical Male“, "Two People“ oder „Better Be Good To Me“. Aus heutiger Sicht klingt das alles ein wenig so, als würden die Lieder ihr Fesseln anlegen.
Aber immer noch gelangen ihr Geniestreiche, wie etwa das von Mark Knopfler geschriebene „Private Dancer“, ein Lied über Sexarbeit, das zittert vor Schmerz. 1995 veredelte sie den James-Bond-Song „GoldenEye“, den man auch heute noch gut hören kann.
Danach zog sie sich immer mehr zurück. Jetzt ist eine große Stimme endgültig verstummt. Tina Turner hinterlässt ein riesengroßes Werk, das es verdient hat, wieder entdeckt zu werden.
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