Seit Jahrzehnten unkorrekt: Künstler Allen Jones im Porträt
Der Brite prägte die „Swinging Sixties“ und provozierte Sexismus-Debatten. Er schuf aber auch „genderfluide“ Figuren
Alte weiße Männer stehen im kulturellen Diskurs derzeit allerorten auf dem Prüfstand: Hat doch ihr Blick auf die Welt und insbesondere auf das andere Geschlecht den Entfaltungsspielraum von Frauen lange genug in ziemlich eindimensionale Bahnen gelenkt.
Allen Jones, mit 84 Jahren gewiss der Kohorte „alt und weiß“ zuzuordnen, erweckt nicht den Eindruck, als hätte er mit dieser Umwertung ein riesiges Problem. Wobei: Ein bisschen nervt es ihn schon, dass er nun schon jahrzehntelang als Posterboy für die Objektifizierung weiblicher Körper herhalten muss. „Es ist eine sehr limitierende Lesart meiner Arbeit“, erklärt der Künstler, dessen Gemälde, Skulpturen und Drucke bis 25. 6. in der Wiener Galerie Hilger zu sehen sind.
Kurvige Mannequin-Figuren in hochhackigen Schuhen begegnen dort mehrfach – in einer Vitrine, bemalt, vor farbintensiven Leinwänden. Aber auch halb-abstrakte Körper, aus Metall gebogen und in einer Art Tanz verschlungen, gehören zum Repertoire. Und dann ist da „der Hutständer“: Die Figur einer Frau in Fetisch-Aufzug ist eines der bekanntesten Stücke in Jones’ Oeuvre. Jüngst ließ der Künstler den „Klassiker“ für ein Video animieren , die starre Haltung wird darin gelöst.
Möbel des Anstoßes
Der „Hutständer“ bildet – gemeinsam mit einem Tisch, der auf dem Rücken einer Frauenfigur auf allen vieren lastet, und einem Sessel, der auf dem Hintern einer solchen Puppe ruht – jene Werkgruppe, die Jones 1970 ebenso viel Ruhm wie Hass einbrachte. „Diese Skulpturen sollten die Traditionen der Kunst provozieren, nicht die Leute“, erklärt Jones. „Doch sie entstanden eben zur selben Zeit, als der Feminismus seine politische Stimme fand. Ich kam aus demselben Milieu und dachte, ich hätte die weibliche Figur aus einer traditionellen Betrachtungsweise befreit. Aber ich sehe natürlich, dass so ein Tisch aus einer feministischen Perspektive jedes Klischee erfüllte.“
Popikonen
Jones’ Arbeiten sollten Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ inspirieren (wegen eines Streits ums Geld verwendete der Regisseur statt Originalen nachempfundene Requisiten) und wurden zu Inbegriffen der britischen Variante der Pop Art. Mit seinem Studienkollegen David Hockney (gerade mit einer Schau im Bank Austria-Kunstforum präsent) blieb Jones bis heute eng befreundet. Auch die Beatles waren oft bei ihm zu Besuch, später arbeitete er u. a. mit Naomi Campbell und Kate Moss.
Jones selbst sieht sich aber in einem tiefer reichenden Dialog mit der Kunstgeschichte, wie im Gespräch rasch klar wird. „Ich bin eigentlich mehr Maler als Bildhauer“, erklärt er. „Und als ich anfing, galt figurative Malerei als tot. Erst als ich nach New York ging, merkte ich, dass man andere Inspirationsquellen für die Figur heranziehen konnte als die akademische Tradition von Degas und Toulouse-Lautrec: Etwa das Fernsehen, Posters, Filme.“ Fetisch-Magazine und „Erwachsenencomics“ waren eine weitere Inspirationsquelle, die Jones leidlich ausschlachtete.
Die Umwandlung der in Hackenschuhe und Korsette gezwängten Körper zu Möbeln sollte laut Jones letztlich nur eine Grenze verwischen, die figurative Künstler jener Zeit wie George Segal oder Ed Kienholz noch intakt gelassen hatten. „Die Frage war: Wie konnte ich eine Figur darstellen, ohne zu sagen: ,Keine Sorge, das ist Kunst?’“, erklärt er. „Wie konnte ich etwas schaffen, mit dem sich jeder Mensch selbst konfrontieren musste?“
Die Idee dieser Grenzverschiebung zieht durchaus bis heute Kreise. Jakob Lena Knebl, aktuell Österreichs Vertreterin bei der Venedig-Biennale, entdeckte Jones etwa während ihres Studiums: „Die Vorstellung vom Körper als Objekt, das eine Funktion übernimmt, war durchaus inspirierend“, sagt sie – nicht, ohne ihr Problem mit dem sexualisierten Frauenbild zu verschweigen. „Er könnte ja auch einmal einen Männerhintern als Tisch machen.“
Beide Geschlechter
Jones macht aus seiner Liebe für die „Schönheit der weiblichen Form“ kein Hehl, verweist aber auch darauf, dass er schon früh (etwa im Werk „Man Woman“, 1963, oder in der Grafikserie „Concerning Marriages“, 1964) jene Verwischung der Geschlechtergrenzen vorangetrieben hatte, die man heute als „genderfluid“ bezeichnet.
„Mein Ausgangspunkt war Nietzsches ,Zarathustra’, wo er über das weibliche und das männliche Element in jedem von uns schreibt“, sagt der Künstler. „Ich habe das in Form von tanzenden Figuren gefasst, bei denen man nicht sagen kann, wo der Mann anfängt und die Frau aufhört. Bis heute mag ich die Idee, dass der perfekte Akt der Kreation eine ideale Balance der weiblichen und männlichen Anteile in dir selbst ist.“
Das schon im antiken Pygmalion-Mythos beschriebene Streben, seine Kreation zum Leben zu erwecken, sei außerdem eine Triebkraft, gibt Jones zu. Seine jüngeren Werke wägen dabei Malerei und Skulptur gegeneinander ab – gebogene, bemalte Flächen, die sich ineinander verwinden, versuchen Lebendigkeit und Bewegung zu fassen.
Dass alldem die Idee einer dominanten, meist männlichen Schöpferperson zugrunde liege, sei wohl nicht falsch, sagt der Künstler. „Aber lässt sich das wirklich als Beispiel für alle Ungerechtigkeiten des Lebens hernehmen?“
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