Pippi Langstrumpf-Star Inger Nilsson: „Ich habe nichts geschenkt bekommen“

Pippi-Darstellerin Inger Nilsson im Interview über ihr Leben als ewiger Kinderstar und ob die Rolle Fluch oder Segen für sie war.

Potzblitz! Hat die rothaarige Göre mit den auf beiden Seiten weit abstehenden Zöpfen gerade mit bloßen Händen ein Pferd in die Luft gestemmt? Pippi Langstrumpf ist nicht nur rotzfrech, sie verfügt eben auch über übermenschliche Kräfte. Und Mut. Ungerechtigkeit ist ihr ein Gräuel. Gefährliche Piraten werden also vermöbelt, mit Polizisten wird Fangen gespielt. Mit einem Pferd, einem kleinen Affen und einem Koffer voller Goldstücke lebt sie alleine in der Villa Kunterbunt. Herrlich! Niemand da, der ihr etwas verbietet. Stattdessen ganz viele Abenteuer! Und mit Thomas und Annika zwei Freunde, die sie mit ihr erleben.

Mit der sommersprossigen Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf (so ihr voller Name) hat Astrid Lindgren eine legendäre Figur erschaffen. 1945 erschien das erste Buch der Schwedin, mehr als 66 Millionen Mal wurden die Romane verkauft, in 77 Sprachen übersetzt. Die Filme kennt bei uns jedes Kind. Erfunden hat Lindgren Pippi, um ihrer kranken Tochter im Bett eine spannende Geschichte zu erzählen. Eine Rebellin ist sie geworden, der Albtraum jeder autoritären Erziehung. Anfangs war sie ein Skandal. Nicht in die Schule gehen oder mit Polizisten Schabernack treiben, das geht doch nicht! Und bei einem Kaffeekränzchen das Gesicht in die Torte tauchen – also, bitte!

Auch auf Inger Nilssons Leben nahm Pippi Langstrumpf großen Einfluss. In der Serie und den Filmen stellte sie die Piratentochter mit unvergessener Verve dar. Nilsson wurde weltberühmt. Doch die Rolle war so prägend, dass Nilsson sie nie wieder loswurde und sie durchlebte harte Jahre. Mit der Serie „Der Kommissar und das Meer“, in der sie eine Pathologin mimt und die auch bei uns mit Erfolg lief, gelang ihr ein Comeback.

Pippi heute: Inger Nilsson lebt in Stockholm, Fans bitten immer noch gern um Selfies   

©APA/DPA/A3637 Jörg Carstensen
Frau Nilsson, sind Sie manchmal überrascht, dass Ihre Rolle und die Figur der Pippi bis heute eine solche Wirkung haben?

Ja und nein. Nein, weil ich weiß, dass es eine großartige Geschichte ist und die Bücher sehr beliebt waren. Es überrascht nicht, dass die Filme ein Erfolg waren. Andererseits ist es schon seltsam. Vielleicht liegt es daran, dass man erwachsen wird. Hat man als Erwachsener mit einer Rolle großen Erfolg, weiß man, darauf folgt die nächste Rolle. Als Kind ist das nicht der Fall. Man wird älter und kann nie wieder etwas in diesem Alter machen. Weil man nie wieder acht Jahre alt sein wird. Das ist schon etwas.

Wie haben Sie die Rolle damals bekommen?

Die haben im Fernsehen gefragt. Damals hatten wir in Schweden nur einen Sender, alle sahen das gleiche Programm. Sie fragten zwischen den Sendungen, die Fernsehmoderatorin machte das. Sie sagte, sie würden einen Film aus diesen Büchern machen und drei Kinder dafür suchen. Mein Vater hat mich angeschaut: Was denkst du, ich schicke ihnen ein Foto von dir. Und ich habe gesagt, ja, warum nicht. Und das war's.

War es damals Ihr Traum, Schauspielerin zu werden?

Nein. Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Träume hatte. Ich hatte gerade die erste Klasse in der Schule beendet und wollte Lehrerin werden. Meine ganze Welt bestand damals darin, zur Schule zu gehen und mit meinen Freunden zu spielen. Also einen Traum zu haben – nein. Ich wusste nicht einmal richtig, was eine Schauspielerin war. Die Welt war sehr klein, wenn man damals ein Kind war.

Hat Pippi Ihrem tatsächlichen Charakter entsprochen?

Nein, ganz und gar nicht. Ich war, ich würde nicht sagen schüchtern, aber – immer viel mit meiner Mutter zusammen. Auf jeden Fall war ich nicht so tough wie Pippi. Ich war einfach ein kleines Mädchen, das nicht viel wusste von der Welt und nicht viel außerhalb ihres kleinen Ortes gesehen hatte.

Was gefällt Ihnen an der Figur der Pippi?

Sie tut das, was sie tun will. Deswegen wollen auch alle Leute so sein wie sie. Aber es ist schwierig, etwas darüber zu sagen, ich habe das nie analysiert.

Sie ist vielleicht eine Art Anarchistin.

Ja. Ihr Verhalten hat etwas Gesundes an sich, aber es ist eine Fantasie. Und das muss man wirklich, wirklich verstehen. Sie ist keine reale Person. Sie ist eine Fantasiefigur, und es ist eine gute Geschichte.

Pippi war anfangs ein Skandal, für Psychologen gab sie ein schlechtes Vorbild für Kinder ab. Es war 1945, und die Bücher, das war nichts, was man Kinder lesen lassen wollte, es gab viel Kritik. Dabei hat Astrid Lindgren immer gesagt: Das ist eine Fantasie, nichts weiter als eine Fantasie. Nicht jedes Kind sollte wie Pippi sein, oh mein Gott.

Die Menschen konnten das nicht so recht auseinanderhalten.

Kinder sollten sich damals zurückhalten und still sein. Sie wurden anders behandelt als heute. Später, in den Siebzigerjahren, änderte sich das. Da ließ man sie machen, was sie wollen (lacht).

Pippi-Darstellerin Nilsson: "Kinder sollten sich damals zurückhalten und still sein"

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Wie waren die Dreharbeiten?

Ich mochte es sehr, die Filme zu machen. Aber wenn man ein Kind ist, ist alles ein Abenteuer. Du spielst die ganze Zeit herum. Nicht vor der Kamera, da ging es mit dem gebotenem Ernst zu. Da musste man auf den Regisseur hören und genau das tun, was sie einem sagen. Aber sobald du nicht vor der Kamera stehst, tollst du herum.

Herr Nilsson, der Affe, muss ziemlich anstrengend gewesen sein und ein Biest, sagt man.

Es hat den Anschein, als ob er sehr freundlich wäre, aber das war er nicht. Manchmal kann man sehen, wie ich ihn ganz vorsichtig berühre. Auf keinen Fall war er wie ein kleines Püppchen, mit dem man spielen konnte. Ich glaube, er war die ganze Zeit ziemlich verängstigt, wegen all der neuen Leute um ihn herum, die er nicht gewöhnt war. Er gehörte einer Familie in Stockholm, es war damals erlaubt, Affen im Haus zu haben. Er wäre wohl lieber bei dieser Familie gewesen als bei uns.

Haben Sie Astrid Lindgren einmal getroffen?

Ja! Nach einer Weile kam sie ans Set, und ab da besuchte sie uns ab und zu.

Wie erinnern Sie sich an sie?

Es war sehr schön, sie kennenzulernen. Aber ich war acht oder neun. Ich stand nicht staunend, bewundernd und voller Ehrfurcht vor ihr, weil sie all das geschrieben hatte.

20. Todestag am 28.1.: Buchautorin und Pippi-Erfinderin Astrid Lindgren  

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War die Rolle der Pippi Langstrumpf ein Segen oder ein Fluch für Sie?

Ein Segen, weil es so schön war, diese Rolle zu spielen. Doch mit allem, was danach kam, war es dann schwierig umzugehen. Ich war in Schweden einer der ersten Kinderstars, die so berühmt wurden. Und wenn man der erste ist, weiß man nicht wirklich, wie man all das bewältigen soll. Alles ist neu für dich. Wird heute jemand sehr populär, weiß man, wie man damit umgehen soll. Die Eltern und die Filmfirma haben Erfahrung damit. Aber bis dahin hätte sich niemand träumen lassen, dass jemand so populär wird.

Sie waren auf gewisse Art eine Pionierin.

Man muss erkennen, dass das damals einfach eine andere Zeit war. Heute haben Kinder ihren eigenen YouTube-Kanal. Früher hatten wir hingegen keinen Computer, kein Internet und bloß einen Fernsehkanal. Wenn ich versuche, das jüngeren Leuten zu erklären, verstehen sie es nicht.

Warum haben Sie danach eine Zeit lang keine Rollen bekommen?

Ich habe die Schule beendet und danach ein bisschen gearbeitet, bevor ich wieder als Schauspielerin tätig wurde. Aber manchmal musste ich auch andere Jobs machen. Es bist nun mal nicht du, der entscheidet, ob du viele Rollen bekommst, sondern jemand anderes. Man muss jeden Tag darum kämpfen, Rollen zu bekommen. Und Schweden ist ein kleines Land, mit vielen Schauspielern, da muss man die ganze Zeit kämpfen. So war es auch bei mir. Ich habe nichts geschenkt bekommen, nur weil ich als Kind schon Schauspielerin war. Vielleicht sogar das Gegenteil. Manche Leute denken, dein Teil in diesem Geschäft sei damit erledigt. Und jetzt lass bitte jemand anderen vor die Kamera.

Sie wurden einfach voll und ganz mit Ihrer Rolle als Pippi identifiziert.

Die Leute sehen, was sie sehen wollen. Regisseure erkennen oft erst nach einer Weile, wie wandelbar man sein kann. Aber das ist ein Problem für jeden Schauspieler. Ich glaube, das war auch ein Grund für Daniel Craig, nicht länger James Bond zu spielen. Weil er das Gefühl hatte, keine anderen Rollen mehr zu bekommen.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Maria Persson und Pär Sundberg, die Annika und Thomas spielten?

Ja. Sie leben nicht hier in Schweden, also halten wir Kontakt per E-Mail. Maria wohnt auf Mallorca und Pär in der Nähe von Alicante. Als Schauspieler haben sie nicht weiter gearbeitet, sie sind ganz normal geworden (lacht).

Sie haben auch in der schwedischen Version des „Dschungelcamps“ mitgespielt. Wie war das?

Lustig! Jedoch eine große Enttäuschung für den Sender. Sie dachten, es würde ein Riesenerfolg, aber irgendetwas lief wohl schief, in Schweden war nach nur einer Staffel Schluss. Für uns Teilnehmer war es jedenfalls ein Abenteuer. Wenn man Schauspieler ist, ist man an alles gewöhnt. Wir drehen hier? Okay, dann ist das so.

Comeback: Inger Nilsson in "Der Kommissar und das Meer"

©ZDF und Anna Schwarz/Anna Schwarz/ZDF
Sie spielten 14 Jahre lang in „Der Kommissar und das Meer“, im Dezember lief die letzte Folge. Haben Sie aktuell Projekte, in denen Sie mitmachen?

Wenn er nicht verschoben wird, kommt im Sommer ein Kinderfilm ins Kino.

Das ist doch spannend: Einst drehten Sie als Kind mit Erwachsenen, und jetzt erleben Sie es von der anderen Seite.

Ich freue mich darauf! Schon bei „Kommissar und das Meer“ waren kleine Kinder dabei, allerdings hatte ich keine gemeinsamen Szenen mit ihnen. Aber sie haben mich an früher erinnert, weil sie sich genauso verhalten haben wie ich einst – als Kind setzt man sich nicht hin und wartet auf die nächste Szene, sondern man tollt herum und erkundet alles. So war es auch bei besagtem Kinofilm für Kinder: Man hat alles versucht, die Kleinen zu bändigen, sobald eine Szene vor der Kamera anstand.

Wenn Sie in Schweden auf die Straße gehen, werden Sie dann eigentlich immer noch nach Autogrammen gefragt?

Die Leute wollen ein Selfie (lacht).

Nervt das?

Manchmal komme ich vom Tanztraining aus dem Fitnessstudio. Dann fahre ich mit der U-Bahn nach Hause, die Haare sind nass, ich bin ungeschminkt und will einfach nur heim und etwas essen. Wenn dich in dieser Situation jemand um ein Selfie bittet, ist das schon etwas unangenehm. Aber was kann ich tun? Ich muss zum Training, und ich muss die U-Bahn nehmen. Ich kann nicht die ganze Zeit mit dem Taxi fahren!

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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