Die Zauberin von Oz: Judy Garland, die Alleskönnerin

Erinnerungen an ein Universal-Genie des Entertainments. Am 10. Juni wäre Judy Garland 100 Jahre alt geworden. Ihre vielen Talente leben in ihrer Tochter Liza Minnelli weiter.

Judy Garland? „Ja, der Zauberer von Oz“, denkt man da als Erstes ganz unwillkürlich. Vor allem im deutschsprachigen Raum ist die Hollywood-Legende untrennbar und praktisch ausschließlich mit dem Musical-Film aus dem Jahr 1939 verbunden. Das süße Mädchen, das mit dem feigen Löwen, der dummen Vogelscheuche und dem gefühllosen Blechmann durch ein Fantasiereich reist, um einen Zauberer zu treffen. Und dabei tanzt und singt, selbstverständlich.

Wer die vor 100 Jahren als Frances Ethel Gumm geborene Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin allerdings auf ihre Kinder-Rolle reduziert, tut ihr mehr als Unrecht. Diese Frau konnte einfach alles.

Singen, tanzen, spielen

Kreativ-Workshops wollen diese, uns angeblich angeborenen, Fähigkeiten in jedem von uns zum Vorschein bringen: singen, tanzen, spielen. Das liest sich so einfach. Sieht man sich allerdings die Karriere von Judy Garland an, erkennt man, was singen, tanzen, spielen KÖNNEN wirklich bedeutet.

Gesungen hat sie schon lange vor dem „Zauberer“, ihre Eltern, ein Vaudeville-Schauspielerpärchen, ließen sie von frühester Kindheit an mit ihren älteren Schwestern als klassische Girl-Group auftreten. Für einen Grammy reicht das Talent allerdings auch nur bei den wenigsten professionellen Sängern. Judy Garland gewann gleich zwei, darunter als erste Frau einen für das „Album des Jahres“ (1962).

Tanzen? Dazu braucht man sich bloß ihre Filme mit Gene Kelly („For Me and My Gal“ 1942, „Summer Stock“, 1950) und Fred Astaire („Easter Parade“ 1948) anzusehen. 

Und spielen? Oscarnominierungen für „Das Urteil von Nürnberg“ (1961) und „A Star is born“ (1954), dazu kommen „Kinder-Oscars“ für den „Zauberer“ und „Babes in Arms“, Emmys und Golden Globes.

Zwei Frauen, die fast  alles können

Judy Garland konnte alles, und war, wie Dirk Bogarde sich später  erinnerte, „der humorvollste Mensch“, den er je getroffen hat. Nur glücklich sein, das fiel ihr schwer.  Und auch das hat sie mit ihrer Tochter Liza Minnelli gemein, die sich mit ihrer Mutter schon die Talente fürs Singen, Tanzen, Spielen teilt.

Wir sagen hier nur „New York, New York“, der Song, den später auch Frank Sinatra coverte, Minnelli sang am Broadway und mit den Rockern von My Chemical Romance, tanzte mit Mikhail Baryshnikov, begeisterte in der Komödie „Arthur“ (1981)  als Dudley Moores Angebetete, in „Lucky Lady“ (1975) neben Gene Hackman und Burt Reynolds – und natürlich in „Cabaret“ (1972), wo sie alle drei Mega-Talente in umwerfender Form verband. Wofür sie auch mit dem Oscar für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde.

Liza Minnelli, die ein inniges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte, betont oft, wie wenig treffend das Bild der tragischen Figur ist, des traurigen Kinderstars, das die Medien oft von ihrer Mutter zeichneten. „Sie hatte gute Zeiten und schlechte Zeiten wie wir alle“, sagt sie, „aber mit uns Kindern war sie immer geduldig und warmherzig, witzig – und auch streng“.

Kampf mit Dämonen

Aber auch wenn Judy Garland es ihre Kinder nie spüren ließ, hatte sie seit ihren Teenager-Jahren mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen. Dämonen, die eng mit ihrer Karriere verknüpft waren.

In der frühen Ära Hollywoods, in der Judy ihre ersten Schritte machte, sprangen die Studios mit ihren „Stars“ nicht gerade zimperlich um.  Zwei ihrer Partner im „Zauberer von Oz“, sowohl  der Blechmann als auch die Böse Hexe des Ostens mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden, beim Blechmann war etwas mit dem Make-up schiefgelaufen, die Hexe fing tatsächlich Feuer. Von Regisseur und MGM-Boss Louis B. Mayer kam nicht nur keine Entschuldigung, sondern die dringende Aufforderung nach dem Spital unverzüglich ans Filmset zurückzukehren.

Es war in diesem toxischen Umfeld, in dem ein  14-jähriges Mädchen von Ärzten, die fürs Studio arbeiteten, Tabletten verabreicht bekam. Tagsüber Amphetamine, um länger arbeiten zu können, und damit sie nicht „noch“ dicker würde, spät abends dann Barbiturate und Schlaftabletten. Garland kam ihre ganzes Leben nicht mehr von ihrer Tablettensucht weg. Sie starb mit nur 47 Jahren an einer versehentlichen Überdosis

Liza Minnelli war damals 23. Und auch sie kämpfte  bald darauf für eine lange Zeit ihres Lebens gegen  diverse Süchte – die mit den Beruhigungsmitteln begannen, die sie nach dem Tod ihrer Mutter verschrieben bekam.

Das hässliche Entlein 

Außer der Gabe oder vielleicht ja auch dem Fluch, praktisch alles zu können, verbinden Mutter und Tochter aber noch mehr Gemeinsamkeiten. Drogen- und Beziehungsprobleme – vor allem aber ein kaum vorhandenes Selbstbewusstsein. Zeit ihres Lebens hatte Judy Garland  Angst, nicht zu gefallen.

Das lag zum einen daran, dass in ihrer Schauspielgeneration mit Ava Gardner, Lana Turner und wenig später Elizabeth Taylor drei Kolleginnen groß wurden, die als die schönsten Frauen der Welt galten. Zum anderen aber auch daran, dass das MGM-Studio, bei dem sie unter Vertrag war, sie bewusst als „Mädchen von nebenan“ verkaufen wollte. Sie wurde für ihre „Pferdelunge“ angepriesen, weil sie eine unglaublich starke Stimme hatte. „Ich wäre lieber als das hübsche Mädchen angekündigt worden“, sagte sie selbst rückblickend. Studio-Boss Mayer ließ sie ständig fasten, weil er sie zu dick fand, und noch während der Dreharbeiten zum „Zauberer“ nannte er sie „Hunchback“ in Anlehnung an den Glöckner von Notre Dame, oder, schon beinahe liebevoll, sein „hässliches Entlein“.

Diese Verunsicherungen setzten sich bei der Tochter nahtlos fort, auch Liza Minnelli hielt sich für „nicht begehrenswert“. Traurige Ironie: Sie fühlte sich unscheinbar im Schatten der geliebten Mutter, die eben alles konnte. Ohne zu wissen, dass ihre Mutter genau dieselben Ängste und Zweifel quälten ...

 

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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