Warum singen wir eigentlich unter der Dusche?

Die Dusche ist ein mysteriöser Ort voller Geheimnisse. Und als solcher sträflich unterschätzt. Denn sie ist eine Beichtkammer des Unbewussten.

Trällernd geben wir darin unsere tiefsten Gefühle preis, ohne dass wir es ahnen. Oder was singen Sie unter der Dusche? Diese Lieder sind ein Seismograph der Seele. Es scheint, als würden wir, kaum setzen wir den nackten Fuß in die Kabine, etwas in uns freien Lauf lassen. Flötend kommt uns über die Lippen, was uns gerade einfällt. Assoziativ, ohne Ziel, ohne Zweck. Und doch so vielsagend. Wer „I Never Met a Girl Like You Before“ anstimmt, hat sich vielleicht gerade verliebt und weiß es selbst noch gar nicht. Gerade dem Partner sollte man aufmerksam zuhören, steht dieser unter der Brause. Trällert die Angebetete „Endless Love“, ist alles gut. Schmettert sie „Would I Lie To You“ von Charles & Eddie steht man vielleicht bald selbst im Regen. Singt sie „I Kissed a Girl and I Liked It“ hat man womöglich ein ganz anderes Thema.

Doch warum singen wir, sobald wir das Wasser aufdrehen? Weil wir uns in der Nasszelle alleine fühlen und ein bisschen ängstlich, wie der Wanderer im Wald? Das wohlige Gefühl uns zu guter Laune anspornt? Oder wir insgeheim glauben, wir seien George Michael?

Eines steht fest: Es ist gesund. Wir stärken damit unser Immunsystem, Studien (etwa des Instituts für Musikpädagogik der Uni Frankfurt) beweisen die Effekte auf unser Hormonsystem. Der Spiegel des Stresshormons Cortisol senkt sich, dafür werden die Glückshormone Endorphin und Oxytocin ausgeschüttet. Dr. Johanna Kanzian weiß – Achtung, Wortwitz – ein Lied davon zu singen. Die Kärntnerin ist Mentaltrainerin und setzt in ihrer Arbeit auf heilsames Singen. „Die Solisten in Badewanne und Dusche fühlen intuitiv, dass Singen Medizin ist.“ Eine Instinktsache also, Teamarbeit von Körper, Geist und Seele. Kanzian betont die freie Atmung, die mit dem Singen einhergeht, das Fühlen der Schwingungen der Töne: positive Effekte, die sich auch Therapeuten in Krankenhäusern zunutze machen. Singen hilft gegen chronische Schmerzen wie auch Depressionen, wer singt, lebt länger. Also: Wasser marsch!

Frage der Freizeit

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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