Nachwuchs in Schönbrunn: Wenn der Tiergarten zum Kindergarten wird

Viel Nachwuchs sorgte 2022 für Freude, auch heuer gelang schon die erste erfolgreiche Nachzucht. Dazu braucht es Fingerspitzengefühl und Fachwissen.

Vladimir kam 1988 aus Moskau nach Wien, seitdem lebt er hier. Vorigen Juni wurde er im fortgeschrittenen Alter noch einmal Vater. Er nimmt es gelassen, sitzt auf dem Boden und blickt aus dem Fenster. Vladimir ist ein Orang-Utan und Vater der kleinen Kendari, die im Tiergarten Schönbrunn zur Welt kam. Es war das erste Orang-Utan-Jungtier seit fast 20 Jahren – entsprechend groß war die Freude.

Und Kendari ist nur eines von rund 110 Säugetieren, die 2022 in Schönbrunn geboren wurden.

Orang-Utan Mama Sari mit Baby Kendari.

©Tiergarten Schönbrunn/Zupanc Daniel

Außerdem begann auch das neue Jahr für den Tiergarten mit einem Erfolg: Als erster Zoo Europas schaffte man es, eine pazifische Leuchtqualle und eine Rippenqualle nachzuzüchten (siehe Bildergalerie unten).

Besuchermagneten

Gesunde Jungtiere sind für Zoos in mehrfacher Hinsicht Grund zur Freude. Sind sie putzig, sind sie auch verlässliche Besuchermagneten. Nach der Geburt der Pandazwillinge 2017 etwa war der Ansturm so groß, dass eine Blockabfertigung vor dem Gehege eingeführt wurde.

Nachzucht erfordert Fachwissen

Darüber hinaus muss die Nachzucht in Zoos gut geplant werden: Dafür braucht es genetisch passende Elterntiere sowie Fachwissen und Fingerspitzengefühl der Mitarbeiter. Und nicht zuletzt ist die zentrale Aufgabe eines Tiergartens der Artenschutz: Gesunde Populationen im Zoo sind quasi ein Back-up, sollte die Tierart in der Wildbahn aussterben.

Abholzung, Wilderei, Klima

Besucher sollen sich im Tiergarten natürlich erholen und erfreuen, ebenso möchte man aber informieren. „Wir zeigen, wie die Tiere ihr Sozialverhalten ausleben und wie man ihre Art und ihren Lebensraum schützen kann“, erklärt Kurator Folko Balfanz.

Folko Balfanz, zoologischer Abteilungsleiter im Tiergarten Schönbrunn.

©Kurier/Gilbert Novy

Immerhin sind viele Arten gefährdet. Und dafür ist so gut wie immer der Mensch verantwortlich, sei es durch Abholzung, Wilderei oder Veränderungen des Klimas.

Die Geburt von Amari

Zu den gefährdeten Arten zählt die Giraffe, die in Buschsteppen Afrikas lebt. Insofern war die Geburt von Jungtier Amari Anfang 2022 ein großer Erfolg. Rasch zeigten sich aber Probleme, auf Freude folgte Sorge. „Am Sonntag kam der Anruf der Pfleger, dass die Geburt ansteht“, erzählt die zoologische Abteilungsleiterin Eveline Dungl. Die Geburt sei ungewöhnlich schnell gegangen, sie sei gerade rechtzeitig eingetroffen: „Leider hat das Muttertier keine Bindung zum Neugeborenen aufgebaut. Das kommt bei Erstgebärenden vor, auch in der Wildbahn.“

Eveline Dungl, zoologische Abteilungsleiterin im Tiergarten Schönbrunn.

©Tiergarten Schönbrunn/Zupanc Daniel

Muttertier Fleur war überfordert, ging auf Distanz und ließ die Kleine nicht trinken. Anfangs war nicht klar, ob Amari überleben würde. Sie wog nur 50 Kilogramm und wollte nicht aus dem Fläschchen trinken. „Wir haben etwa den Sauger mit Stoff überzogen, damit er sich eher wie eine Giraffen-Zitze anfühlt“, beschreibt Dungl. Spezielle Milch wurde angeschafft, fünfmal täglich gab es ein Fläschchen, es wurde gewogen und Temperatur gemessen. Mit Erfolg: Mittlerweile sei Amari wohlauf, wiegt 240 Kilogramm und flitzt durch die Anlage. Auch Mama Fleur hat ihr Verhalten verändert: Sie sucht ihre Nähe und knabbert an ihrer Mähne.

„Nur wenn sich Tiere wohlfühlen, kann es im Zoo zu einem Zuchterfolg kommen“, erklärt Kurator Folko Balfanz. Im Vorfeld sei zu beachten, dass die genetische Kombination der Elterntiere passt. Es brauche Wissen, Geduld und Einfühlungsvermögen des Pflegepersonals. „Und das Team muss einschätzen, ob Tiere zueinanderfinden, einander mögen und ein Zuchterfolg möglich ist. Außerdem braucht es die beste Haltung, Pflege und tierärztliche Versorgung.“ Wie sich ja im Fall von Amari zeigte, war das für das Überleben des Tiers wichtig.

Bedrohte Orang-Utans

Ebenfalls vom Aussterben bedroht sind die Orang-Utans. Ihr Lebensraum, der Regenwald, wird zusehends zerstört. In der Wildbahn leben sie nur noch auf Borneo und Sumatra. Groß war daher die Freude in Schönbrunn, als die 13-jährige Sari und der 48-jährige Vladimir Nachwuchs erwarteten.

Der 48-jährige Vladimir geht die Vaterschaft gelassen an.

©Kurier/Gilbert Novy

Kendari kam quasi vor den Augen der Besucher zur Welt: „Es war eine Spontangeburt tagsüber in der Innenanlage“, so Balfanz. Mittlerweile ist Kendari sechs Monate alt, sie zahnt und betrachtet schon aufmerksam ihre Umgebung.

Und auch bei den Mhorrgazellen, einer extrem seltenen Art, kamen im Vorjahr zwei Jungtiere zur Welt. Die Tiere sind ein gutes Beispiel dafür, welche Rolle die Zoos bei der Arterhaltung spielen. Denn Mhorrgazellen galten ab 1980 als ausgestorben. Dank eines Zuchterhaltungsprogramms konnten sie aber wieder in der Wildbahn im nordwestlichen Afrika angesiedelt werden.

Von arktischen Wölfen bis Zebras

Freilich gab es noch jede Menge weitere Jungtiere, etwa bei den arktischen Wölfen, den Felsenpinguinen, den Faultieren oder den Zebras. Und die Jüngsten im Bunde der Säugetiere? Vor rund drei Monaten kamen zwei Totenkopfäffchen zur Welt. Die Winzlinge werden noch von ihren Müttern am Rücken getragen, auch ihr Geschlecht kennt man noch nicht. Bei den Besuchern sorgen sie aber schon für Begeisterung.

Bei wem man 2023 noch Nachwuchs erwartet? Das könne man seriös noch nicht sagen, erwidern die Experten. Man freue sich aktuell über den „leuchtenden“ Zuchterfolg bei den Quallen – und auch auf jeden neuen Mitbewohner im Jahr 2023.

Johanna Kreid

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