Zwischen Himmel und Erde: Faszination Brücken
Kaum ein Bauwerk ist ein stärkeres Symbol für die Verbindung von Menschen und Regionen als Brücken.
Der direkte Weg. Von einem Flussufer ans andere, einem Hügel zum nächsten. Für uns heute ganz normal. Allerdings verbrachten unsere Vorfahren etliche Jahrtausende auf Umwegen, mühsamen Pfaden, Querungen, Ab- und Aufstiegen – oder setzten beim wagemutigen Versuch, über Planken und möglichst schwere Steinplatten von einer Seite auf die andere zu kommen ihr Leben aufs Spiel.
„Brücken sind eine faszinierende Errungenschaft“, sagt also aus gutem Grund der Statiker Peter Bauer, Universitätsprofessor und ehemaliger Präsident der österreichischen Ziviltechnikerkammer. Damit meint er vor allem die Erfindung des Bogens in der Architektur, die es den Menschen erst ermöglichte, größere Distanzen quasi in der Luft zu „überbrücken“.
Die Römer haben’s zwar nicht erfunden, aber wie so vieles zur Perfektion gebracht, die noch erhaltenen Brücken, wie die über 70 Meter hohe Puente de Alcántara in Spanien, sind heute noch beeindruckend. Und das, ohne die modernen Möglichkeiten, die wirkenden Kräfte zu berechnen, die über die Standhaftigkeit des Bauwerks bestimmen – oder deren Fehlen. „Bei den antiken Baumeistern wurde Erfahrungswissen an die nächste Generation weitergegeben. Und manche waren dann halt mutiger, haben sich mehr getraut, und so neue Möglichkeiten eröffnet. Natürlich muss man bedenken, dass wir heute die gescheiterten Projekte ja nicht mehr sehen – erhalten sind nur die, bei denen alles gut gegangen ist. Heute hingegen wird vorausgesetzt, DASS es gut geht“, erklärt Experte Peter Bauer.
Die Techniken haben sich inzwischen einigermaßen erweitert, riesige Hängebrücken führen über Meeresarme, Stahl- und Spannbetonbrücken überqueren scheinbar mühelos und geradlinig komplette Flüsse. In China wurde der römische Bogen mit der Ruyi Bridge in Taizhou beinahe überspannt: Ein Video des kanadischen Astronauten Chris Hadfield, das die Brücke zeigte, ging viral und ließ das Gerücht entstehen, das exzentrische Bauwerk wäre nur eine Computersimulation. Nein, es gibt sie wirklich, ganz sicher, alles ist gut.
Wenn Brücken Geister scheiden
Schrägseilbrücken sind seit den 1970ern so richtig schick, Star-Architekt Santiago Calatrava hat für sich quasi ein Markenzeichen daraus gemacht, in Sevilla, Athen und Dublin stehen atemberaubend schöne Exemplare nach seinen Plänen. Dass allerdings auch ein echter Star eine Brücke bauen kann, die die Geister scheidet, bewies er in Venedig mit der Ponte della Costituzione.
Die meisten Einheimischen waren von Anfang an entsetzt, die Stufenhöhen sind nach Ästhetik und nicht Funktionalität ausgerichtet, und wenn jemand über Stufenhöhen bei Fußgängerbrücken Bescheid weiß, dann die Venezianer. Es stolperten immer wieder Touristen, so schön die Brücke auch ist, gibt es jede Saison Verletzte, außerdem wurde nicht an Rollstuhlfahrer gedacht, die nachträglich angebaute Gondel erwies sich als einzige Katastrophe. Vor zwei Jahren wurde der Architekt zu einer Strafe von 78.000 Euro verurteilt. Es wird ihn nicht ruinieren, so viel steht fest.
Häme und Spott sind freilich nicht angebracht, seit Alters her sind Brückenbauer die gefeiertsten, aber auch angreifbarsten Helden der Baumeisterei. Nicht umsonst mussten sie früher, wie es die Sage will, als erste ihr Werk beschreiten.
Maßgeblich bleibt doch vor allem eines: Brücken, diese geniale Erfindung der Menschheit, ermöglichen es uns, Grenzen zu überwinden, Ziele zu erreichen. Sei es quer durchs Meer zum hemingwayschen Sehnsuchtsort Key West an der Südspitze Floridas, zwischen Himmel und Erde, wie auf der 191 Meter hohen Niouc-Hängebrücke in den Schweizer Alpen – oder einfach auf die andere Seite des Flusses, wo man mit den Menschen, die man sonst nur sieht, auch reden kann.
Brücken sind seit Menschengedenken ein verbindendes Symbol. Nicht umsonst ist auch eine auf jedem Euroschein, den es gibt, zu finden.
Über diese Brücken sollst du gehn ...
Universitätsprofessor Peter Bauer, Geschäftsführer des international tätigen Statik-Büros „Werkraum“, über Brücken und ihre Bedeutung.
"freizeit": Welche Brücken sind für Sie von nachhaltiger Bedeutung?
Ganz spontan würde ich sagen: Die Ponte dei Salti im Schweizer Tessin, die Tintagel Castle Bridge in Cornwall und die Punt da Suransuns, wieder in der Schweiz.
Was macht diese Brücken so besonders?
Die Ponte dei Salti ist zwar „erst“ knapp 400 Jahre alt, aber sie repräsentiert diese ursprünglich revolutionäre und geniale Bogenbauweise. Man muss als Fußgänger sogar die Bögen mitgehen, weil Material gespart wurde. Sie ist in gewisser Weise zukunftsweisend, weil sie zeigt, was man mit minimalen Mitteln erreichen kann.
Und die Brücke zur sagenhaften Burg König Arthurs in Cornwall?
Hier wurde gezeigt, wie man gefühlvoll mit geschichtlich aufgeladenen Objekten umgeht. Sie wurde vor nicht einmal zwei Jahren fertiggestellt und verbindet praktisch zwei Welten – oder auch nicht.
Oder auch nicht? Was ist das Besondere an dieser Brücke?
Hier werden die mythischen Ruinen auf der Halbinsel in Cornwall mit einem Hügel auf dem Festland verbunden, also mit unserer Realität. Genau in der Mitte haben die Architekten einen kleinen Spalt offen gelassen, die beiden Teile der Brücke treffen sich eben NICHT. Wer da drüber geht, und nicht ins Nachdenken kommt ... Außerdem ist sie ästhetisch sehr gelungen, was bei neuen Objekten im historischen Rahmen doch immer schwierig ist.
Die Punt da Suransuns führt über die literarisch verewigte Viamala-Schlucht, wirkt auf den ersten Blick aber doch recht unspektakulär?
Sie muss ja auch nicht mit der spektakulären Umgebung konkurrieren. Zwei Stahlbänder, 40 Meter weit über die Schlucht gespannt. Bretter darüber, weil wir eben nicht so gerne auf Stahlseilen spazieren gehen. Das reicht. Wenn es um Tragwerke geht, erlangt Funktion einen besonderen ästhetischen Wert, wenn man sieht, dass man hier wirklich nichts mehr weglassen kann. Aber das ist natürlich Ansichtssache. Es gibt Menschen, denen gefallenen goldene Türklinken. Die werden das vielleicht anders sehen ...
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