Feinste Handarbeit

Thüringer Porzellanstraße: Das Glück ist eine Scherbe

Zauberhafte Orte prägen den Südosten des Freistaats genauso wie das Porzellan. In Handarbeit entstehen kleine Meisterwerke. Entdecken kann man sie in den Manufakturen entlang der Porzellanstraße.

Mit hochgekrempelten Hosenbeinen steht Svenja Märkner in der Schwarza. Nur bis zu den Knien reicht ihr das Wasser. Der Fluss ist am Nordrand des Thüringer Schiefergebirges ziemlich flach. Dicht gesäumt von Bäumen bahnt er sich seinen Weg durch ein Tal, das zugleich rau und lieblich ist. Die Erfurterin schaut aufmerksam ins seichte Wasser. Sucht sie nach Gold, das es hier tatsächlich gibt? Nein, die 55-Jährige hat anderes im Sinn und endlich auch in ihren nassen Händen. "Ich habe eins, ich hab ein Bein gefunden!“, jubelt sie und präsentiert den Unterschenkel einer Porzellanfigur, kaum größer als ihr kleiner Finger.

Thüringen, Deutschland

©Grafik

So routiniert, wie Svenja dieses Bruchstück zwischen all den Kieselsteinen aufgestöbert hat, so lange ist es her, dass sie die letzten derartigen Schätze barg. "Als Kind verbrachte ich viel Zeit im Schwarzatal. Während andere den Fluss nach funkelndem Metall durchkämmten, begnügte ich mich mit dem weißen Gold – oder was davon noch übrig war“, erzählt sie.
Quelle ihrer sonderbaren Funde in den 1970ern war die Porzellanfabrik in Sitzendorf. Heute in Privatbesitz, gehörte sie damals zu einem Staatsbetrieb der DDR. "Was bei der Herstellung zerbrach oder missglückte, kam auf einen Abfallhaufen, von dem manches in den Fluss geriet“, sagt die Scherbensammlerin. Porzellan liebt sie bis heute: ob als verschnörkelte Figur oder Design-Geschirr. Nicht zufällig liegen ihre Lieblingsausflugsziele an der Thüringer Porzellanstraße.

Im Brennofen essen

Dreihundertvierzig Kilometer ziehen sich die Routen des touristischen Netzwerks durch die Mittelgebirge im Südosten des Freistaates. Das Netzwerk verbindet Museen und Galerien. Die meisten der über vierzig Stationen der Porzellanstraße sind Manufakturen mit Schauwerkstätten, Ausstellungen und Fabrikverkäufen. Und einige bieten originelle Gastronomie wie etwa die historische Fabrik von "Wagner & Apel“ in Lippelsdorf. Mit Blick auf liebevoll geformte Tiere kann man Kaffee und Kuchen in einem ausgedienten Brennofen genießen. Eine Werkschau und Führungen bietet die Manufaktur Reichenbach im Holzlandkreis. Hier verjüngen Star-Designer tradiertes Kunsthandwerk mit ihren ungewöhnlichen Ideen.

In der Porzellanmanufaktur Reichenbach: ein Designerstück von Paola Navone

©Carsten Heinke

Im Schwarzatal, wo auch Svenja ihre Scherbenschätze fand, stand die Wiege des Thüringer Porzellans. Denn nahe Sitzendorf entdeckte 1757 der Prediger Georg Heinrich Macheleid die richtige Mixtur aus weißer Tonerde, Feldspat und Quarzsand, formte daraus Porzellan und brannte es. 1760 eröffnete der Hobby-Chemiker die erste Porzellanfabrik in Thüringen. Und kurz darauf holte ihn der Schwarzburg-Rudolstädter Fürst nach Volkstedt. Heute zählt die „Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur“ zu den beliebtesten Adressen. Besucher können hier den Kunsthandwerkern auf die geschickten Finger schauen – zum Beispiel beim "Ankleiden“ der Tänzerinnen. Modelleurin Katrin Himmelreich nimmt einen Streifen Baumwoll-Tüll und bestreicht ihn mit dickflüssigem Porzellan. Falte für Falte heftet sie den Stoff mit einer Nadel an der Figurine fest. "Beim Brand verschwinden die textilen Fasern. Übrig bleibt das feine Gittermuster.“ Das verblüffende Ergebnis und andere Stücke sieht man in der Werkschau.

Die Leuchtenburg hat mit dem runden Turm mit Zipfelmütze etwas Märchenhaftes

©Carsten Heinke

Noch mehr Kostbarkeiten zeigt das Landesmuseum im Schloss Heidecksburg. Etwa ein filigranes Fantasiereich aus Rokoko-Miniaturen sowie eine reiche Kollektion Thüringer Porzellans. Wichtigstes Exponat ist der barocke Prunkbau selbst, mit dem zwölf Meter hohen Festsaal voller Marmor und Gold.
Zwischen Rudolstadt und Jena schlängelt sich die Saale durch ein Tal zur Leuchtenburg. Auf einem Berg thront sie wie Dornröschens Schloss. Ihr mittelalterlicher Turm mit Zinnenrand und Zipfelmütze verleiht ihr Märchenhaftes. Das passt zum Inneren. Denn mit viel Kreativität entstand dort die Erlebnisausstellung "Porzellanwelten“.

Rokoko-Miniaturen

©Carsten Heinke

Rätselhafte Kreaturen

"Wir pusten die Staubschicht ab vom Weißen Gold, erzählen seine Geschichten, zeigen, was es kann und welchen Zauber es in sich birgt“ – so erklärt Ilka Kunze von der Stiftung Leuchtenburg das zeitgenössische Konzept des Hauses. Was dessen künstlerisch geprägte Inszenierung von einem Museum unterscheidet, sind ihr spielerischer, interaktiver Charakter. Der Rundgang durch die Porzellanwelten ist wie eine amüsante Entdeckungsreise durch die Zeit. Gleich am Anfang geben Henkelkrebs und Schüsselechse Rätsel auf. Die Kreaturen sind mutmaßliche Kreuzungen aus Tieren und Geschirr. Im Alchemie-Labor kann jeder selbst bizarre Ingredienzen mixen. "Wie wär’s mit Engelshaar und Maniokwurzel?“, schlägt Ilka vor.

Info

Klimafreundliche Anreise
Erfurt, Jena, Weimar sind gut mit der Bahn erreichbar, per Regionalzug oder Bus von dort auch Rudolstadt und Saalfeld, oebb.at

Manufakturen und Museen  
– Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur, Infos unter die-porzellanmanufakturen.de
– Porzellanmanufaktur Reichenbach, porzellanmanufaktur.net
– Leuchtenburg, leuchtenburg.de

Auskunft
thueringerporzellanstrasse.de, thueringen-entdecken.de, saaleland.de 

Es klirrt. Ein Teller ist zerbrochen. Nicht aus Zufall. Die Besucherin, die ihn geworfen hat, schaut auf die Scherben unter sich. Die Aussichtsplattform, auf der sie steht, ragt zwanzig Meter aus dem Burgberg. "Unser Steg der Wünsche“, präsentiert die Leuchtenburgerin den Außenposten der Schau.
"Wer möchte, kann seinen Wunsch per Porzellanbruch auf die Reise schicken“, sagt sie und schickt sich an, es selbst zu tun. Was in Erfüllung gehen soll, schrieb Ilka vorher "unsichtbar“, im Schwarzlicht einer Wunschkabine, auf den Teller – den sie nun im Saaletal zerschellen lässt.

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