Wie es dieser Dessous-Store schafft, seit 150 Jahren zu bestehen

Seit über einem Jahrhundert verkauft Familie Ittner in Wiens Innenstadt Dessous und Nachtwäsche. Wie man in Zeiten der Digitalisierung so lange überlebt.

Der erste Wiener Gemeindebezirk ist dieser Tage im Umbruch. Wo an einer Stelle gleich mehrere Luxushotels fertiggestellt werden, sind nur wenige Meter weiter leere Ladenlokale zu sehen. Die Pandemie und damit verbundene Umsatzverluste haben zahlreichen heimischen Einzelhändlern nur mehr die Wahl zur Schließung gelassen.

Wie man als kleines Unternehmen nicht nur Corona, sondern auch einen Krieg sowie die massive Konkurrenz seitens großer Onlinehändler wirtschaftlich überlebt, lässt sich hinter einer unscheinbaren Fassade in der Spiegelgasse 2 beobachten.

Seit 150 Jahren empfängt hier die Familie Ittner ihre Kundschaft, um sie mit edlen Morgenmänteln, komfortablen Slips oder perfekt sitzenden BHs auszustatten. Gegründet im Jahr 1872, wird die Firma heute erstmals von zwei Frauen geführt: Katharina Erol-Ittner wird von Tochter Stefanie Michalek in fünfter Generation unterstützt.

©Kurier/Gilbert Novy

Wie Psychologinnen

Im Büro oberhalb der Verkaufsräume hängen an den Wänden alte Werbungen aus Zeiten, als der Badeanzug noch Seebadkostüm hieß – und auch von Männern getragen wurde. „Es war damals noch aus Wolle gefertigt“, erinnert Erol-Ittner schmunzelnd. Deutlich angenehmer die Stoffe, die heute im Geschäft hängen. Michalek: „Sie sind leicht, dünn und geben dennoch Stabilität.“

Die Produktqualität alleine sichert in Zeiten des Online-Booms freilich nicht das Überleben. Zwar könne Unterwäsche bequem von daheim bestellt werden, jedoch weiß die Tochter: „Das Zentimeter-Maß sagt noch nichts über die Passform aus.“ Seit rund zwei Jahren gibt es auch bei Ittner einen Onlineshop, das Hauptgeschäft wird dennoch stationär gemacht. Das Geheimnis: Ihre Mitarbeiterinnen, eine davon seit 40 Jahren angestellt, seien ein wenig wie Psychologinnen. „Eine sehr persönliche Beratung wird auch für die junge Kundin immer wichtiger. Wir verkaufen eigentlich nicht primär die Ware, sondern die Dienstleistung“, erklärt Michalek, die früher in der Politik arbeitete, bevor sie ins Familienunternehmen einstieg. „Ohne Onlineshop geht es natürlich nicht mehr, aber ich sehe digitalen und stationären Handel nicht im Widerspruch. Es ist wichtig, eine Art zusätzliches Schaufenster zu haben.“

In der Spiegelgasse 2 wird seit 150 Jahren Unter- und Nachtwäsche verkauft

©Ittner

Für ihre Mutter ist der Webshop ungewohntes Terrain: „Als ich angefangen habe, gab es so etwas noch nicht. Aber es gab Telefonverkauf. Früher hat mir die Kundschaft einfach die Kreditkartennummer am Telefon gesagt und wir haben die Ware danach versendet. Teils sogar nach Amerika. Ein bissl wie online, nur dass man die Ware vorher nicht sehen konnte.“ Ein unerwartetes Comeback der Telefonbestellungen bescherte der erste Lockdown. „Ich war nur noch am Handy, weil so viele unbedingt etwas kaufen wollten.“

Die Pandemie habe die Wertschätzung für so manches Produkt erhöht. „Obenrum im Video-Meeting waren alle gestriegelt und geschniegelt, untenrum wurde auf Pyjamahose gesetzt. Die war zuletzt einer unserer Bestseller.“

Bestellung per Post

Wie stark die Bindung zur Kundschaft ist, zeigt eine Postkarte, die Katharina Erol-Ittner und Stefanie Michalek kürzlich erhielten: „Eine Dame hatte aus unserem Folder jene Artikel ausgeschnitten, die sie kaufen wollte. Und in welcher Größe sie diese wünschte“, erinnert sich Michalek. „Das war so entzückend und weit weg von Digitalität. Trotzdem war alles klar.“

Maria Zelenko

Über Maria Zelenko

Seit 2015 beim KURIER. Schreibt seit über einem Jahrzehnt über alles, was die Mode- und Kosmetikwelt bewegt.

Kommentare