Nichts bleibt dem Zufall überlassen: Wie entstehen eigentlich Modetrends?

Wer bestimmt, was Trend wird, erklärt Mode-Expertin Christina Wittmann im Gespräch. (Soviel vorab: Es sind nicht die Influencer).

Wie kann es sein, dass Modedesigner oft gleichzeitig sehr ähnliche Looks präsentieren? Und wer hat den größten Einfluss darauf, was wir in Zukunft tragen werden? Das sind Fragen, die sich viele schon öfter gestellt haben. So zufällig, wie man im ersten Moment glaubt, sind Modetrends nicht. Chef-Einkäuferin und Trendexpertin Christina Wittmann von Humanic klärt im Gespräch mit der freizeit auf und verrät uns jetzt schon, welcher Schuh im Jahr 2023 wieder besonders en vogue sein wird. 

Warum braucht es immer neue Trends? Spricht denn etwas gegen den guten alten Klassiker?

Christina Wittmann: Gegen den guten alten Klassiker spricht per se gar nichts. Man muss aber immer zwischen Mode und Modetrend unterscheiden: Beim Modetrend spricht man immer von einem Phänomen, das kommt und geht. Mode selbst ist eine "Art und Weise", etwas Langlebiges. Es braucht immer beides. Den guten alten Klassiker hat es schon immer gegeben, den wird es auch weiterhin geben. Wir feiern jetzt unser 150-jähriges Jubiläum bei Humanic, und haben uns deswegen viel mit unserer Geschichte auseinandergesetzt. Wenn man 150 Jahre zurückschaut sieht man, dass es damals Schuhtrends gegeben hat, die es jetzt wieder gibt. Modetrends braucht es aber deswegen, weil man die Leute immer neu inspirieren will. Oft ändert sich ein Klassiker ja nur in einzelnen Facetten oder Silhouetten: Einmal ist die Farbe anders, einmal der Absatz, manchmal die Form. Es geht darum, jede Saison attraktiv und neu zu gestalten und den Kunden einen Anreiz zu geben, sich einen neuen Schuh oder ein neues Kleid zu kaufen. Deswegen sind Trends ganz wichtig. 

Und der Kunde will das ja auch. Das ist ja eigentlich ein Geben und Nehmen von beiden Seiten...

Ja, genau. Aber nur von den schnelllebigen Trends kann man auch nicht leben. Gerade in der Schuhwelt braucht es auch den guten alten Klassiker. 

Wie entstehen Trends im Allgemeinen?

Ganz oben in der Pyramide sind einige wenige Leute: die sogenannten Trendforscher. Das sind ein paar Handvoll Menschen, die sich nicht nur mit Modetrends beschäftigen sondern sich ansehen, welche Trends die Gesellschaft bewegen. Sie beschäftigen sich auf sehr hohem Level mit soziodemographischen Trendmerkmalen. Die bekannteste ist Li Edelkoort, die sozusagen die Mutter aller Trends für viele Designer ist. Dann gibt es sehr viele Trendscouts, die damit beschäftigt sind, sich die Trends auf der Straße anzusehen: Wie bewegen sich Menschen, was tragen, trinken und essen sie? Die "Findings" dieser Scouts sind es, die dann bei Trendforen, Messen und Foren wie WSGN (Worth Global Style Network) uns Einkäufer und Trendexperten erreichen. 

Früher waren ja Musiker, Designer und Filmstars die Trendmacher. Wie hat sich das in den letzten 10 Jahren durch Influencer verändert?

Influencer und Stars sind sehr wichtig, da sie als Trendsetter die neuen Trends das erste mal tragen und sichtbar machen. In den letzten Jahren hat sich natürlich viel getan: Früher waren es die Hollywoodstars und Royals, aber wir merken stark, dass sich das Blatt wendet und die Influencer sehr wichtig sind. 

Forscherin und "Mutter aller Modetrends": Li Edelkoort

©Samir Hussein/Getty Images for The Business of Fashion
Aber nur bei jüngerem Publikum, oder?

Ja, hauptsächlich. 

Und das alles erklärt, warum man bei Modeschauen dann auch in unterschiedlichen Häusern ähnliche Trends sieht...

Ja. Die Mutterquelle ist immer die selbe, und davon gibt es sehr wenige. Die große Herausforderung der Labels und Designer ist es, dem Trend die eigene DNA aufzusetzen. Das gilt auch für uns bei Humanic. Wir haben einen hohen Anspruch und ein hohes Qualitätslevel, wollen aber auch frech und im Sinne unserer "Franzes" sehr innovativ sein. Diese DNA kippen wir natürlich über die Trends drüber, und so kann es passieren, dass man bei uns einen Overknee-Stiefel schon im Mai oder einen Gummistiefel im Hochsommer sieht. Wenn also etwas zum Trend wird, müssen wir es früh genug zeigen. 

Christina Wittmann ist die Trendexpertin, wenn es um Schuhe geht.

©PR
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Trend-Uhr durch die Influencer-Szene schneller dreht, oder ist das nur ein oberflächlicher Eindruck?

Die Zeitspanne beim beschriebenen Prozess ist lang, wir reden von 1,5 bis 2 Jahren, teilweise sagen Forscher die Trends schon drei Jahre voraus. Ich würde sagen, dass es nicht schneller, aber facettenreicher geworden ist. 

Wir sehen also mehr Varianten von ein und demselben Trend?

Genau. Es braucht trotzdem eine gewisse Zeit, bis es bei der Masse angekommen ist. 

Denken Sie, dass das in Österreich etwas langsamer geht (das sagt man ja immer argwöhnisch)? 

Ich denke es nicht nur, ich weiß es (lacht). Ich sage es gerade heraus: Ich bin so viel unterwegs und sehe so viele Modeschauen und Menschen auf der Straße. Letztere sind für mich der größte Indikator. Der Österreicher ist per se nicht unmodisch, aber er ist auch nicht der modischste Europäer, vor allem, wenn man die breite Masse anschaut. Besondere Farben oder Schuhformen sieht man in anderen Ländern oft viel früher. Aber immerhin sind wir nicht die letzten in der Nahrungskette (lacht). 

Bunte Farben und Pastelltöne am schicken Schuh sind der absolute Trend der Saison.

Welchen Trend sehen sie im kommenden Sommer als besonders dominant - und welchen Schuh trägt man dazu?

Diesen Sommer sind Farben ganz dominant: Knalliges Pink und Grün, aber auch Pastellfarben. Lila ist die Pantone-Farbe des Jahres, auch sie spielt eine große Rolle. Man sieht sie aber nicht nur in der Mode und bei Schuhen, sondern auch bei einer Couch und diversen anderen Artikeln, weil sich fast jeder an diesem Farbfächer bedient. Außerdem gibt es den Wunsch der Menschen, sich wieder schicker zu machen. Deswegen sehen wir auch wieder Pumps mit spitzen Formen (z. B. in Pastellfarben) oder Sandalen mit Riemchen und kleinem Absatz. In den letzten zwei Jahren war natürlich alles anders, da hat niemand schicke Schuhe aufgrund der Situation benötigt. Und jetzt sehen wir eine Trendwende: Elegante Waren, Farben und Fröhlichkeit sind gefragt. 

Das ist aber nicht das Ende der Sneakers, oder?

Leider nicht. (lacht). Der Sneaker geht ja schon in Richtung "guter alter Klassiker". 

Sie haben sich die Trends der letzten 150 Jahren angesehen. Gibt es  einen Trend von damals, der jetzt wieder aufflammt?

Eindeutig der Pumps! 1870 haben Frauen sehr viel Absatz getragen, nur hat man sie unter den langen Kleidern nicht gesehen. In den 1930ern während der Wirtschaftskrise war er auch groß. Umso trister die Situation der Menschen ist, desto begehrlicher ist fröhliche und ausgefallene Mode - das war immer schon so. In den 30ern hat die Schuhmode dann ein Hoch erlebt, die verschiedensten Absätze und Leistenformen sind entstanden. Und jetzt erlebt er wieder ein großes Revival. Für mich ist der Pumps der klassischste Schuh, den es in der Damenwelt gibt.

Sind Ihnen in den letzten Jahren Stücke aufgefallen, die neue Klassiker werden könnten?

Vor allem im Winter sind es Chunky Boots. Sie sind voll in der Masse angekommen. Niemand schaut einen mehr schräg an, wenn man damit über die Straße geht. Dieser Trend wird sicher noch lange halten. Im Sommer werden es Keile sein, vor allem bei Sandalen und Pantoletten. Im Gegensatz dazu gibt es auch ganz starke Trendartikel wie Ballerinen. Sie schwanken stark, spielen einmal ganz oben mit und in der nächsten Saison trägt sie niemand mehr. Es gibt selten einen Produkttyp, der derart schwankt wie ein Ballerina oder im Winter der Stiefel. Diese Saison sehen wir sie schon mit Spitz, aber im Sommer 2022/23 werden sie wieder groß in Mode sein.

Sandra Keplinger

Über Sandra Keplinger

Seit Sommer 2021 im KURIER Medienhaus, zuerst als Digital Producer für die Freizeit, jetzt im Audience Development tätig. Sie arbeitete als Foto- und Modechefin beim WIENER, schrieb über das Mode-Business in der DIVA und war CvD bei Falstaff.

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