Modekunst: Wie Issey Miyake zu einem der einflußreichsten Designer wurde
Mit seiner Plissee-Kleidung und dem Parfum L’Eau d’Issey erlangte Issey Miyake Kultstatus über seinen Tod hinaus. Ein Bildband würdigt das Leben und die avantgardistischen Entwürfe des Mode-Designers.
Man muss das Wort nur richtig aussprechen können, dann zieht man sich mit einem Kleidungsstück das wahre Glück über. Zumindest, wenn es sich dabei um eines von Issey Miyake (1938-2022) handelt. „Kleidung heißt auf Japanisch Hifuku. Und Hifuku heißt auch Glück“, sagte der japanische Modedesigner einmal.
Auch dem Apple-Gründer Steve Jobs brachte es Glück. Der minimalistische schwarze Rollkragenpullover mit halbhohem Kragen und Ziernaht auf der Vorderseite war Jobs Markenzeichen und machte ihn bei Auftritten unverwechselbar. Von diesen Pullis ließ er sich gleich einige Hundert von Meister Miyake anfertigen – genug für ein ganzes Leben, wie in Jobs Biografie zu lesen ist. Berühmt wurden auch andere künstlerische Outfits des Mode-Visionärs Miyake – sie schafften es auf die Titelblätter internationaler Hochglanz-Modemagazine und auf die Bühnen der Welt.
Mode für die Kunst
Miyake entwarf Kostüme zu einer Choreografie von William Forsythe für das Frankfurter Ballett, und auch Stars wie Sängerin Solange Knowles treten bis heute gerne in Bühnenoutfits des Modeschöpfers auf. Mit seiner innovativsten Erfindung, Kleidung mit knitterfreien Falten, revolutionierte er die Modewelt der 1980er-Jahre. Stars wie Grace Jones trugen seine visionären Outfits, mit skulptural geformten Plastik-Bustiers, monochromen Looks und hautengen Kopftüchern in die Welt hinaus und bauten ihr eigenes Image damit auf. Kein Wunder also, dass die Modewelt, auch zwei Jahre nach dem Tod Miyakes, sein umfangreiches Schaffen, abgelichtet von den weltbesten Fotografen, immer wieder neu ordnet und für die Nachwelt publiziert.
Soeben ist etwa der Bildband „Issey Miyake, das Gesamtwerk“ erschienen. Darin sammelte Midori Kitamura, die nahezu 50 Jahre lang eng mit Miyake zusammenarbeitete, die besten Mode-Momente des Designers von 1960 bis zu seinem Tod 2022.
Mit ikonischen Fotografien von Irving Penn, Yuriko Takagi und anderen Star-Fotografen würdigt die Präsidentin der Issey-Miyake-Foundation die Kreationen des Designers. Sie zeigen wie Miyake Kunst und japanische Traditionen, wie die Sashiko-Stickerei, mittels technischer Innovationen geschickt zu modernen Seidenstoffen und federleichten Polyester-Materialien verwebte.
Mode gegen die Erinnerung
Miyakes Arbeiten wurden immer wieder in Museen gezeigt, wie etwa 1988 ISSEY MIYAKE A-ŪN im Musée des Arts Décoratifs in Paris. Bis Ende April zeigt die Ausstellung „La traversée des apparences“ im Pariser Centre Pompidou, dass Mode mehr als nur ein vorübergehender Trend sein kann. Kurator Laurence Benaïm stellte jeweils ein Kleid eines Modedesigners einem Kunstwerk gegenüber, das Ähnliches ausdrückt. So trifft ein kubistisches Bild von Francis Picabia auf ein dreidimensionales Kleid von Comme des Garçons Rei Kawakubo, während Issey Miyakes futuristisches, dunkles Plissee-Kleid, ähnlich dem, das einst Grace Jones berühmt machte, neben einem abstrakten Gemälde des deutschen Künstlers Hans Hartung steht. Die beiden düsteren Arbeiten werden durch vergangene Schicksalsschläge ihrer Urheber vereint, die Hartung und Miyake mit diesen Werken verarbeiteten.
„Ich glaube, dass Design Hoffnung gibt. Design ruft bei Menschen Überraschung und Freude hervor“, sagte Miyake einst. Denn trotz seiner farbenfrohen Kollektionen versuchte der Modeschöpfer mit seinen Entwürfen seine Erinnerungen zu bewältigen. „Ich scheine bei großen gesellschaftlichen Veränderungen immer dabei zu sein. Paris im Mai 1968, Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens, New York am 11. September. Wie ein Zeuge der Geschichte“, sagt Miyake. Der Designer, 1938 in Hiroshima geboren, hat schwere Zeiten überlebt – sogar die Atombombe. Dabei wollte Issey Miyake als Kind eigentlich Athlet oder Tänzer werden. Sein Mode-Interesse erwachte erst nach einem Blick in die Modemagazine seiner Schwester.
Praktische Pleats please
Erst studierte Miyake in Tokio Grafik-Design, dann zog er in den 1960er-Jahren nach Paris. Dort arbeitete er als Designer für die Modehäuser Guy Laroche und Hubert de Givenchy und ließ sich vom Streetstyle der Pariser Existenzialisten inspirieren. Damals entstand auch der Entwurf für Steve Jobs schwarzen, minimalistischen Rollkragenpulli. 1970 ging er nach Tokio zurück, gründete sein Design-Studio und widmete sich fortan der Weiterentwicklung in Mode und Technologie.
Wie das Plissieren – eine Technik des Faltenlegens, die ihn in den 1980er-Jahren weltberühmt machte. Miyake ließ die Kleider in Übergrößen nähen und anschließend mittels chemisch erzeugter Faltenlegung auf ihre eigentliche Größe reduzieren. Die sogenannte Pleats-please-Kleidung ist bügelfrei, in der Maschine waschbar und knittert nahezu nie.
1992 lancierte er dann seinen ersten Duft, das L’Eau d’Issey, im Französischen zugleich ein Wortspiel mit L’Odyssee, Die Odyssee, die ewige Irrfahrt. Miyake erzählte dazu einmal der Wiener Mode-Lektorin und damals KURIER-Redakteurin Brigitte R. Winkler: „Ich mag kein Parfum, Gerüche stören mich. Ich wollte mit dem Duft das herrliche Gefühl einfangen, das man nach dem Gesichtwaschen hat.“
Lange vor der Erfindung der Streetwear kreierte der Japaner auch bewegungsfreundliche Mode für den Alltag. 1997 rüttelte Miyake mit dem APOC-Bekleidungskonzept, One Piece of Cloth, die internationale Modewelt erneut auf. Zu dem Kleidungsstück aus einem einzigen Faden gewebt, ließ er sich von den Togen der Antike, afrikanischer Kleidung, indischen Saris und japanischen Kimonos inspirieren. Mit den APOC-Schlauchstrickkleidern revolutionierte er auch den Produktionsprozess. Abfall wurde minimiert, und dank industrieller, computergesteuerter Strickmaschinen konnte jedes Teil individuell ausgeschnitten werden, sodass es nach Lust und Laune vom Träger geformt werden konnte.
„Ich habe versucht zu experimentieren, um das System der Kleidungsherstellung grundlegend zu ändern“, so Miyake. Auch das New Yorker MoMa hat eines dieser frühen Stücke in seiner Modesammlung. Issey Miyake gehörte, wie Rei Kawakubo und Yohji Yamamoto, zur japanischen Avantgarde.
Zeitlose Avantgarde
Modeschöpfer, die unkonventionell denken, radikal agieren, sich künstlerisch ausdrücken und gegen Normen stellen, erregten besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren mit ihren grenzüberschreitenden Entwürfen die Aufmerksamkeit der Modewelt. Miyake galt damals gemeinsam mit Mahatma Gandhi, Mao Zedong, Dalai Lama und Kaiser Hirohito sogar zu den einflussreichsten Asiaten des 20. Jahrhunderts.
Er widmete sich der Erforschung von Bewegungen und Formen des Körpers, experimentierte mit Kunststoffen, Papier und Draht und nannte seine Entwürfe „Body Works“. Das Kunstmagazin Artforum bildete 1972 erstmals seine Mode als Kunstwerk auf dem Cover ab, Mode wurde damit als Kunstrichtung akzeptiert. 1974 ließ Miyake seine Winterkollektion mit Silver-Models ablichten und Künstler zusammen mit Best-Ager-Models über den Catwalk laufen.
Lange vor dem Trend zur geschlechterneutralen Mode, gründete er 1981 die Marke Plantation, mit Kleidung aus vorwiegend natürlichen Materialien, die unabhängig von Alter, Geschlecht und Körperform, getragen werden sollte.
Miyakes legendäre Outfits sind zeitlos. Und haben Seltenheitswert, was sie zu Sammlerstücken macht.
So sind Vintage-Miyake-Designs Must-have der Stars. Rihanna trug bei ihrem Rock in Rio-Set einen Plissee-Anzug von Miyake, Kim Kardashian wurde beim Shopping in Kalifornien öfters in einem Vintage-Miyake-Outfit gesichtet und Joni Mitchell trug bei den Grammy Awards ein weißes Pleats-please-Kleid.
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