Die Welt als Bühne: die spektakulärsten Laufstege der Modedesigner
Wie sich Modeschauen vom intimen Modesalon über Megainszenierungen zu virtuellen Shows entwickelten, zeigt die Ausstellung „Catwalk: The Art of the Fashion Show.“
Natürlich begann alles in Paris, der Stadt der Mode. Es war ein kalter Februartag, als Charles Frederick Worth die besten Verkäuferinnen aussuchte, sie in seine neueste Kollektion steckte und sie in den Kleidern in seinem Pariser Modesalon in der Rue de la Paix auftreten ließ. Kriterium seiner Modelwahl: ihre Körper sollten denen seiner Kundinnen ähnlich sein. So spazierten die Verkäuferinnen in den üppigen Couture-Roben 1858 im Salon zwischen Tischchen mit Keksen und Tee hin und her.
Jeanne Lanvin bekleidet eine Puppe für die Ausstellung »Théâtre de la Mode«, 1945
Der britische Stoffhändler schneiderte figurbetonte Kleider und platzierte die damals üblicherweise hinten angebrachte Tournüre seitlich auf den Hüften – eine kleine Revolution. Für diese Show mussten die ausgewählten Kundinnen auch viel Zeit haben: sie dauerte etwa drei bis vier Stunden. Worth war der erste, der Kleider nicht auf hölzernen Puppen, sondern in Bewegung zeigen wollte.
Der Laufsteg als Raumstation: Chanels spektakuläre Prêt-à-porter-Herbst/Winter 2017/18 Show in Paris
©WireImage/Dominique Charriau/getty images159 Jahre später war Karl Lagerfelds Chanels-Schau im Oktober 2017 schon nach 18 Minuten vorbei. Die Models trugen Weltraumhelme am Kopf und am Catwalk standen Mondraketen. Und soeben löste Model Awar Odhiang wieder einen medialen Hype bei der Chanel Frühjahr-Sommer-Kollektion 2026 aus: sie war erst das dritte schwarze Model in der 115-jährigen Chanel-Geschichte, das eine Chanel-Show beenden durfte, nach Alek Wek 2004 und Adut Akech 2018, beide unter Karl Lagerfeld als Chefdesigner. Auch diesmal war der Catwalk spektakulär inszeniert: im Grand Palais schwebte ein Planetensystem. Matthieu Blazy huldigte in seiner Debütshow für Chanel erneut Lagerfelds Weltraum-Fantasie.
Emotionen am Catwalk: Model Awar Odhiang sorgte auf der Chanel FS/26 Show für Gesprächsstoff
©Corbis via Getty Images/Stephane Cardinale - Corbis/getty imagesJetzt würdigt das Vitra Design Museum in Weil am Rhein das Phänomen Modenschau mit der Ausstellung „Catwalk: The Art of the Fashion Show“ und beleuchtet die Geschichte und kulturelle Bedeutung der Modenschau von ihren Anfängen um 1900 bis heute. Zu sehen sind Beispiele der berühmtesten Modehäuser von Azzedine Alaïa zu Louis Vuitton, Yohji Yamamoto und vielen anderen. Neben Fotos und Filmen machen originale Kollektionsstücke, Bühnenobjekte und kostbare Einladungskarten über 100 Jahre Modegeschichte auf dem Laufsteg sichtbar.
Intimes Defilee bei Paul Poiret, Paris 1910
©L'Illustration/Jean Sébastien Baschet LIllustration/Foto: Henri ManuelAber nicht nur der Catwalk hat sich vom gemütlichen Teestübchen auf die spektakulärsten Plätze der Welt verlagert. Die Zeit, die man früher in der Modenschau selbst verbrachte, verbringt man heute meist vor noch geschlossenen Toren der Locations, um auf die Shows zu warten, die heute oft in nur 15 Minuten vorüber sind. Die Bilder von Frontrows, Models und Designern gehen dabei um die Welt. Was als intime Präsentation in Pariser Salons und Ateliers begann, hat sich zu globalen Events entwickelt, bei denen Architektur, Szenografie, Choreografie, Licht, Sound und Requisiten zu einem vielschichtigen Erlebnisraum verschmelzen.
Die Welt als Laufsteg
Lavendelfelder in Valensole: Jacquemus-Show 2020
©Alamy Stock Photo/Aurore Marechal/Alamy/ABACAPRESS.COMNach und nach wurde die Wahl der Locations für die Modeschauen der Luxuslabels zum kreativen Wettlauf: Neben den klassischen Locations in den Modemetropolen wurden spektakuläre Inszenierungen an außergewöhnlichen Orten immer beliebter. So reiste Pierre Cardin 2008 in Chinas Sandwüsten um seine Frühjahr/Sommer-Kollektion zu zeigen. Und Fendi ließ bei seiner legendären Frühjahr/Sommer-Show 2008, 88 Models über die Chinesische Mauer laufen.
Louis Vuitton, Prêt-à-porter, Frühjahr/Sommer 2023 im Cour Carré du Louvre
2015 war dann der Höhepunkt des Wettrennens erreicht: Chanel zeigte seine Cruise-Kollektion in Seoul, Louis Vuitton reiste damit nach Palm Springs und Raf Simons zeigte seine Dior Cruise-Kollektion im „Bubble-House-Palais“, einem spektakulären Gebäude des Architekten Antti Lovag an der französischen Riviera. Gucci-Kreativdirektor Sabato de Sarno reiste dann 2017 für seine erste Cruise-Kollektion nach London ins Kloster Westminster Abbey.
In den Metropolen selbst, wurden die Modehallen öfters auch zu Konzerthallen: etwa als Kanye West seine Yeezy Kollektion im Madison Square Garden in New York zeigte und dazu Songs aus seinem Album „The Life of Pablo“ performte. Rihanna und Matt Buyten cruisten wiederum während der New York Fashion Week 2017, bei der Fenty X Puma by Rihanna-Show, auf einem Motorrad über den Catwalk.
Heute sind längst andere Laufsteg-Trends zu sehen: seit der Covid-Pandemie nehmen hybride und rein digitale Formate rasant zu. Immer öfter mischen Modedesigner reale Laufstegpräsentationen mit virtuellen Komponenten oder verlagern ihre Catwalks zur Gänze in den virtuellen Raum. Denn neben solider Schneiderkunst wird das Spielen mit Identitäten, inspiriert von Avatar-Charakteren, immer wichtiger. Das Metaverse und KI werden dabei auch in die Designprozesse mit einbezogen: von KI-generierter Couture, zu interaktiven digitalen Stoffen und Mixed-Reality-Catwalks.
Catwalk ins Metaverse
Mixed Media am Laufsteg von Visionär Alexander McQueen. Prêt-à-porter, Frühjahr/Sommer 2010, „Plato's Atlantis“
©Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn, 2025Modehäuser wie Gucci, Prada, Chanel, Balenciaga oder Dior legten dank ihrer Chefdesigner von Thierry Mugler, Alexander McQueen, Hussein Chalayan, Nicolas Ghesquière bis Raf Simons oder Iris van Herpen mit ihrer Future-Fashion den Grundstein zu einem Auftritt im virtuellen Raum. Thierry Mugler zeigte etwa bei der Revue „The Wyld“ im Berliner Friedrichstadt-Palast 2014 glitzernde Aliens von einem anderen Stern, deren schwarze Kostüme aus seiner RTW Kollektion 1997 stammten.
Armanis Haute-Couture-Kunst, Herbst/Winter 2015/16
©SchohajaAuch Pierre Cardin, der erste Couturier, der Konfektionsmode und Männermode entwarf, zählt dazu. Seine futuristischen Entwürfe revolutionierten damals die Modewelt. „Meine liebsten Kleider sind diejenigen, die ich für ein Leben schaffe, das es noch gar nicht gibt, für die Welt von morgen“, stand 2020 auf der Webseite des Modeschöpfers (1922–2020), dessen Weltraum-Mode in Form von Einteilern, Tuniken und Kopfbedeckungen bereits in den späten 1950er-Jahren die Modewelt eroberte.
Am Catwalk von Alexander McQueen begegnen sich Maschinen und Menschen. Prêt-à-porter, Frühjahr/Sommer 1999
©Robert FairerImmer öfter werden auch Kunst und Architektur zum Thema in Mixedmedia-Laufsteg-Inszenierungen. So entwickelte das Studio AMO von Architekt Rem Koolhaas für die Prada-Modenschau Herbst/Winter 2021 in der Mailänder Fondazione Prada, ein räumliches Setting für einen real-virtuellen Laufsteg. Interessant ist auch, dass heute die im Set verwendeten Materialien recycelt und an Meta gespendet werden. Meta ist ein Mailänder Kreislaufwirtschaftsprojekt das mit La Réserve des Arts zusammenarbeitet. Einem Verein, der Rohmaterialien und Dekorationsabfälle von Modenschauen für Fachleute und Studierende im Kultursektor bereitstellt.
Doch auch Schauen im virtuellen Raum sorgen für Diskussionen: so heimste sich Balenciaga, das Avatare in der Fortnite-Arena des Videospiels in seine Kollektion kleidete, prompt den Vorwurf der kulturellen Aneignung wegen einer Jogginghose ein.
Luxuriöses Setting am Laufsteg von Dries van Noten, SS 2005
©Helmut Fricke/VG Bild-Kunst Bonn, 2025Viktor & Rolf integrierte die Künstliche Intelligenz in Form einer KI-generierten Stimme während der Haute-Couture-Frühjahr-Sommer-Show 2025: die KI-Stimme erklärte die Looks, während die Models über den Laufsteg liefen. Sie war als Schnittstelle zwischen KI und menschlichem Kunsthandwerk, physischer und virtueller Welt gedacht.
Digitaler ZwillingUnd vor zwei Jahren gab es den ersten digitalen Zwilling vom tschechischen Supermodel Eva Herzigová: ein hyperrealistischer 3D-Avatar, produziert von einem Londoner Unternehmen für virtuelle Produktion und Echtzeit-3D-Storytelling. Ihr Meta-Human kommt in Virtual- und Mixed-Reality-Welten zum Einsatz, um Mode verschiedener Marken online zu präsentieren. Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich: KI senkt die Kosten für Friseure, Visagisten, Fotografen und ihre Reisekosten.
Die „Supermodels“ bei der Versace-Prêt-à-porter-Schau, FW 1991/92, in M
©Paul Massey/ShutterstockIm Mittelpunkt der Ausstellung „Catwalk: The Art of the Fashion Show“, zu sehen bis 15. Februar 2026, im Vitra Design Museum in Weil am Rhein, steht die Modenschau als gestalterisches Gesamtkunstwerk: vom Erstarken der Prêt-à-porter-Mode und der Supermodels, über die Shows als Medienspektakel bis zu ihrer Wirkung im digitalen Raum und der Erkenntnis – dass live erlebbare Inszenierungen auch im digitalen Zeitalter wichtig bleiben.
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