Was Longchamp-Erbe Jean Cassegrain jetzt mit den Nylontaschen vorhat

Einst Pariser Anlaufstelle für Raucher, ist das Familienunternehmen heute vor allem für seine Nylon-Accessoires bekannt.

Die Frage, ob ihm immer schon klar gewesen sei, dass er das Familienunternehmen übernehmen werde, entlockt Jean Cassegrain ein Schmunzeln: „Ja. Ich wurde wohl einer Art Gehirnwäsche unterzogen.“

Er spricht von seinem Vater, der ebenso das Werk des Großvaters weitergeführt hatte. Im Jahr 1948 gründete Letzterer in Paris das Unternehmen Longchamp, das heute weltweit vor allem für ein Produkt berühmt ist: Die Tasche „Le Pliage“. Neben Jean als Geschäftsführer sind auch seine Schwester Sophie Delafontaine als Kreativdirektorin und sein Bruder Olivier, der den US-Markt leitet, für das Familienunternehmen tätig. Wie andere große Labels irgendwann an einen Konzern zu verkaufen, kam für die Geschwister nie infrage. „Der Vorteil ist, dass wir keinen Druck von Investoren haben. Weil es diese Impulse von außen jedoch nicht gibt, müssen wir uns selbst stets antreiben, um uns weiterzuentwickeln.“

Denn Stillstand ist im hart umkämpften Modebusiness keine Option. Vor allem im Taschensegment ist die Konkurrenz groß, da hier für Marken unter anderem aufgrund höherer Margen im Vergleich zur Kleidung viel Geld zu verdienen ist. Um das Modell „Le Pliage“ wieder vermehrt auf den Radar von Modefans zu bringen, hat Chefdesignerin Sophie Delafontaine in den vergangenen Jahren die mit Lederhenkeln versehene und aus widerstandsfähigem Nylon gefertigte Tasche unter anderem in personalisierbaren Varianten lanciert. Den globalen Erfolg der Tasche sieht Jean Cassegrain in dessen Universalität begründet: „Es ist ein sehr simples Produkt. Und das ist eigentlich das Schwierige für einen Designer, weil es im Grunde viel einfacher ist, etwas Kompliziertes zu entwerfen. Ich sage immer, dass mein Vater das T-Shirt aller Taschen erfunden hat. Jeder kann ein T-Shirt tragen – dasselbe gilt für die Pliage.“

Recycelte Zukunft

Philippe Cassegrain hatte das faltbare Accessoire im Jahr 1993 kreiert, um Frauen als Kundschaft zu gewinnen. Denn Longchamp hatte bis dahin mit seinem Sortiment vornehmlich Männer angesprochen: Die ersten Produkte, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter diesem Namen auf den Markt kamen, waren mit Leder bezogene Tabakpfeifen. „Mein Großvater hatte schon damals eine sehr internationale Denkweise, ist bereits im Jahr 1959 beruflich von Paris nach Japan und China gereist“, erinnert sich der 57-jährige Enkel im KURIER-Gespräch anlässlich der frisch renovierten Wiener Filiale. Im Laufe der Zeit wurde das Angebot um Koffer und weitere Reiseaccessoires ausgeweitet.

1952: Jeans Vater Philippe Cassegrain mit lederbezogener Longchamp-Pfeife  

©Longchamp

Mit der Zeit zu gehen, bedeutet für die dritte Generation der Cassegrains auch, sich mit dem Begriff Nachhaltigkeit zu befassen. Der Bestseller „Le Pliage“ wird traditionell aus Polyamid-Canvas hergestellt – und ist in seinem Grundkonzept somit nicht gerade umweltfreundlich. Um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, hat sich der Geschäftsführer vor einigen Jahren zu einer radikalen Umstrukturierung der Produktionsabläufe entschlossen: Bis Ende 2023 wird nur mehr recyceltes Material für die Taschen verwendet – bereits jetzt trifft dies auf einen Großteil der Produkte zu.

Leicht, faltbar, widerstandsfähig: Die Tasche „Le Pliage“ gilt als Klassiker 

©Longchamp

Ein nicht ganz einfaches Projekt für ein Unternehmen dieser Größe. „Zwei bis drei Jahre dauert die Umsetzung. Die erste Herausforderung ist exakt das gleiche Produkt aus recyceltem Material herzustellen“, erklärt Cassegrain. „Der Preis ist auch ein Thema. Denn aktuell ist das recycelte Produkt deutlich teurer als das neu produzierte.“ Dennoch hat sich der Geschäftsführer dazu entschlossen: „Die Kundschaft vertraut darauf, dass wir verantwortungsvoll agieren.“ Mit der Umstellung konnte die CO₂-Bilanz jeder Tasche um 20 Prozent gesenkt werden.

Der Franzose legt mit Änderungen wie dieser die Basis für die nächste Generation: Seine zwei Söhne sind nach Tätigkeiten für andere Firmen auch bei Longchamp eingestiegen. „Es ist gut, dass sie woanders Berufserfahrungen gesammelt haben“, gibt Jean Cassegrain lachend zu. „Sobald du im Familienunternehmen drin bist, bleibst du drin.“

Maria Zelenko

Über Maria Zelenko

Seit 2015 beim KURIER. Schreibt seit über einem Jahrzehnt über alles, was die Mode- und Kosmetikwelt bewegt.

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