Vokuhila Mullet

Vokuhila im Trend: Der Siegeszug der Schwachkopf-Frisur

Für die einen der blanke Horror, für die anderen der perfekte Stil. Wer damit begann und warum der Vokuhila Freiheit symbolisiert.

Sean Connery machte im Laufe seines Lebens seinen Frieden mit der Glatze - und trug sie mit Stolz. Geschadet hat es ihm nicht. Immerhin wurde er damit der älteste "Sexiest Man Alive". So eine Entwicklung steht Robbie Williams noch bevor. Wie vergangene Woche berichtet, hadert er mit einer missglückten Haartransplantation. Er überlegt nun ein Toupet zu tragen, weil sich die obere Mähne schon sehr lichtet. "Meine Haare haben ein bisschen etwas von einem Vokuhila", sagte er.

Würde er auf eine Perücke verzichten, er läge im Trend. Der Vokuhila ist nämlich zurück. Wie schon öfter in der jüngeren Vergangenheit. "Business in the front, Party in the back" ist angesagt.

Für die einen ist der Stil ein Produkt von in die Jahre gekommenen Friseur-Salons, die wirken wie ein Hieronymus-Bosch-Gemälde und Dauerwellen, Springbrunnen, Hair-Tattoos am Fließband produzieren; sprich aus der Hölle. Für die anderen ist die Vorne-kurz-hinten-lang-Haarpracht ein Zeichen für ein besonderes stylisches Gefühl. Oder zumindest für einen bewusst gewählten, ironischen Anti-Stil. Wobei bei vielen das nicht ironisch ist. Die meinen das durchaus ernst.

Dennoch: Wenn Medien den Trend erklären, schreiben sie immer noch von Rebel Cuts, also von besonders rebellischen Haarschnitten. Diese zitieren oft den Vokuhila. Bei der Heldin der Gen Z, Billie Eilish, breitet sich im Genick eine Matte aus, während sie Stirnfransen trägt. Und auch Miley Cyrus zeigt sich gerne mit Nackenspoiler, wie das in Deutschland gerne heißt. 

Ob sich das auswächst wie in den 80ern, als der Vokuhila den Trend-Höhepunkt erreichte, lässt sich nicht vorhersehen. Die Wege des Lifestyles sind manchmal unergründlich. Immerhin war der Vokuhila schon oft totgesagt, dann wieder massiv angesagt. Was aber gesichert ist, den Vokuhila gibt es schon viel länger, als man meinen könnte. Homer hat in seiner "Ilias" das speerkämpfende Volk der Abanten beschrieben, das die vorderen Locken kurz trug, während das Haar lang Richtung Rücken wuchs, wie History zu berichten weiß. Für Krieger - nicht nur jenen aus dem Alten Griechenland - war die Frisur praktisch. Sie hielt den Kopf einigermaßen warm, die vorderen Haare rutschten beim Kämpfen nicht ins Gesicht. Und die Helme hielten auch besser.

Antike Hooligans mit Vokuhila

Im Alten Rom war der Vandalen-Cut bei jungen, wilden, reichen Burschen in Mode. Sie waren die Hooligans des Altertums, die ihre Favoriten bei den Pferderennen lautstark anfeuerten und bei Unmut gegen andere Fans die Fäuste sprechen ließen. Das Auftreten schockierte - immerhin trugen die Tunichtgute Frisuren wie jene Reitervölker, die gerne ins Römische Reich einfielen.

Jahrhunderte später war es Benjamin Franklin, der mit einer einfachen Kleidung und am Hinterkopf langen Haaren in Frankreich um Sympathien und Unterstützung für das neue Amerika warb. Es gelang, Frankreichs Bevölkerung zeigte sich begeistert. Und die Vertreter der Revolution griffen etwas später seinen Stil auf.

Einer, der die Pop-Kultur revolutionierte, führte den Vokuhila in lichte Höhen. Ziggy Stardust, David Bowies Alter Ego. Seine orangen Haare waren einer der markantesten Looks der bunten Siebziger. Bowie spielte mit den Geschlechterrollen und seiner Sexualität. Er trug Plateauschuhe und glitzernde Kleidung. Wie bei der Frisur kombinierte er klassisch männliche Elemente (kurz) mit weiblichen (lang).

Zum ersten Mal trug Bowie die Frisur 1972 - in jenem Jahr, in dem er sich bei einer Pressekonferenz angeblich outete. Dabei bezeichnete er sich - wie auch Musikerkollege Lou Reed - als Zeichen eines kulturellen Niedergangs: "Eine Gesellschaft, die es erlaubt, dass Lou und ich wüten können, ist verloren. Wir sind beide ziemlich durcheinander ,paranoid, und ein ziemlicher Dreckshaufen. Wären wir die Speerspitze von etwas, wären wir nicht die Speerspitze von etwas Gutem." 

David Bowie mit seinem Alter Ego Ziggy Stardust war einer der Ersten, der mit Geschlechterrollen spielte und sich einen Vokuhila zulegte.

©Michael Ochs Archives/Getty Images

Sollte er Recht behalten? Rod Stewart, Keith Richards und Paul McCartney folgten. Und dann kamen die Achtziger. Und wie. Der Vokuhila war omnipräsent. Er saß auf den Köpfen von Rambo, Mel Gibson, sämtlichen Fußballern (in Kombination mit Schnurrbart), Dieter Bohlen, Chuck Norris. Die Liste ließe sich noch ewig weiterführen.

Sexsymbol David Hasselhoff

Und das ging bis in die Neunziger hinein. David Hasselhoff trug ihn über Knight Rider hinaus bei "Baywatch". Da er dort auch maßgeblich die Produktion mitverantwortete, durfte sein von ihm verkörperter Mitch auch mit Nacken-Matte die Damenwelt betören. Er zog damit mehr Frauen in den Bann als seine jungen Mitarbeiter Eddie Kramer, Matt Brody und Cody Madison. Kaum eine Folge, in der eine Strandschönheit nicht über Mr. Buchannon schwärmte. Hasselhoff gefiel sich in seiner Rolle als angebliches Sexsymbol offenbar ziemlich gut.

David Hasselhoff betörte als Mitch mit Vokuhila die Damenwelt in Baywatch.

©NBCUniversal via Getty Images/NBC Universal/Getty Images

In den 90ern war die Frisur aber auch endgültig negativ behaftet. Zu Prolo, fanden viele. Fußballer trugen die Frisur zwar noch mit Stolz, aber die galten noch nicht als so Lifestyle-Ikonen wie in der Gegenwart. Und der Vokuhila bekam Hymnen, die gar nicht hymnisch waren. In Deutschland sorgten Die Ärzte dafür, dass er in "Vokuhila Superstar" im Album "Le Frisur" reichlich gewürdigt wurde. "Maffay ist dein Held in deiner kleinen Welt", heißt es da. Oder "Vokuhila, du bist gut drauf, hast Plan, alles easy, Mann! Obwohl es schwer zu glauben ist, weiß ich, dass du eitel bist." In den USA beschäftigten sich die Beastie Boys in der sehr rockigen Single "Mullet Head" damit und sorgten dafür, dass die Stilbezeichnung Mullet weit verbreitet wurde. Mullet heißt Schwachkopf. Der Song selbst handelt von einem Tuning-Fanatiker, der Schlägereien nicht abgeneigt ist. 

Als die 90er vorbei waren, gingen bei den großen Raves die Lichter aus. Techno war auch nicht mehr so en vogue. Einige aus der Clubszene wagten einen Rückblick in die 80er. Electroclash, das auch Disco Punk hieß, war zu Beginn der 2000er Sound der Stunde. Der Mann der Stunde war das Techno-Urgestein DJ Hell. Sein Label Gigolo Records hatte mit dem Cover von "Sunglasses at Night" einen Charterfolg. Er selbst wandte sich dem Glamour zu, schmiss sich in teure Anzüge und umgab sich mit Stars. Und er trug einen Vokuhila. Viele Nachtschwärmer taten es ihm gleich. Die Frisur war nicht mehr ganz so radikal wie einst, konnte auch mit Seitenscheitel kombiniert werden.

Wer sich nicht mit Clubmusik mit Eighties-Einschlägen beschäftigte, ging damals eventuell auf die gut besuchten Bad-Taste-Partys und stylte sich womöglich im Wolfgang-Petry-Gedächtnis-Look. Der klassische, ernst gemeinte Vokuhila war aber eher passé. "Nur im Zuhältermilieu und in amerikanischen Trailerparks überlebte der 'Kentucky Waterfall', als nostalgischer Mittelfinger gegen den Mainstream", schrieb die Süddeutsche einmal. In Wien war er zwischenzeitlich dann aber doch noch einmal kurz begehrt - bei jungen Menschen, vor allem aus Transdanubien, die als Krocha mit Solariumhaut, neongelbem Kapperl und Palästinenserschal eine Jugendbewegung bildeten, die es sonst nirgendwo gab.

Corona und der Tiger King

Dann kam Corona. Mit dem unsäglichen Virus kam viel Zeit zu Hause und damit auch viel Zeit fürs Fernsehen. "Tiger King" wurde die meist gestreamte Serie der Welt, Großkatzen-Halter und Häfnbruder Joe Exotic war mit seiner markanten Frisur omnipräsent. Während die Haare beim Protagonisten perfekt saßen, begannen diese beim Publikum wegen der zugesperrten Friseure wild zu wuchern. Da war Joe Exotic eine willkommene Inspirationsquelle. Der Vokuhila ist immerhin "der einzige Schnitt, den man sich halbwegs vernünftig im Spiegel selbst schneiden kann", sagte ein Frisurenmeister der Süddeutschen.

Der Tiger Kind - Joe Exotic - war wohl mitverantwortlich dafür, dass der Vokuhila wieder da war.

©APA/AFP/Netflix US/-

Die Frisur hat außerdem ihre Macho- und Prolo-Konnotation abgelegt. Sie lässt sich wie bei Bowie nicht auf ein Geschlecht festlegen und ist in der queeren Szene durchaus beliebt.

Und auch wenn sich immer noch einige über die Frisur herrlich aufregen können: Seien wir froh, dass wir den Vokuhila haben. Anderswo ist er nämlich verboten. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat den Vokuhila zusammen mit der Röhrenjeans auf dir Rote Liste gesetzt. Er wolle damit die "Invasion des kapitalistischen Lebensstils" bekämpfen, der aus dem "dekadenten Westen" nach Nordkorea vordringe. Auch im Iran ist der Vokuhila ein Symbol der westlichen Welt - und daher nicht erlaubt. Wenn man so will, ist er ein Zeichen von Freiheit. Und ja, ein Zeichen der Rebellion.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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