Jenna Ortega in Venedig

Mehr Hauch von Nichts: So werden Tüll und Spitze derzeit gefeiert

Leicht, luftig, luxuriös: Am Red Carpet und bei Modeshows feierten Tüll und Spitze ein Comeback. Wie man transparente Stoffe im Alltag tragen kann.

Rot, daran wird man gerne vor Familienportraits erinnert, kommt auf Fotografien besonders gut zur Geltung. Die Farbe hebt sich kontrastreich von der Umgebung ab, vom Grau der Steine, vom Schwarz eines Anzugs, vom Weiß der Fotorückwand.

Doch es war mehr als der scharlachrote Ton ihres Dior-Couture-Kleids, mit dem Schauspielerin Jenna Ortega zur Weltpremiere der Tim-Burton-Fortsetzung "Beetlejuice 2" in Venedig die Aufmerksamkeit der Fotografen auf sich zog. Es war ihr einmaliges Outfit.

Das Oberteil, bestehend aus hauchdünnen Schichten, fiel herzförmig über ein Mieder und wurde von Spaghetti-Trägern zusammengehalten, die den Rücken frei ließen. Dazu trug sie einen bodenlangen Tüllrock, der durch seine vielen transparenten Lagen voluminös bauschte.

Jenna Ortgae in atemberaubendem, roter Robe

©EPA/ETTORE FERRARI

600 Stunden ist das Team von Dior Couture laut Harper’s Bazaar an diesem Kleid gesessen. 

Stars setzen auf Durchblick

Doch Jenna Ortega war nicht der einzige Star, der beim 81. Filmfestival in Venedig auf durchblickende Stoffe setzte. Die kanadische Schauspielerin Taylor Russell erschien in einer dramatischen, bodenlangen, teils transparenten Robe mit tiefem Ausschnitt und asymmetrischen Schlitz. Und Sienna Miller entschied sich für einen Spitzen-Jumpsuit mit gerüschtem Ausschnitt aus der Herbstkollektion von Chloé

Sienna Miller setzt auf Stilbruch

©EPA/FABIO FRUSTACI

Ein Outfit, das Stilexpertin Franka Mainusch, besonders gekonnt findet: "Die leichte Spitze wird mit spitzen Overknees kombiniert und das Feine im Stilmix aufgebrochen."

Mehr Durchblick

Zart verhüllend und doch durchscheinend, leicht und doch üppig: Tüll und Spitze dürften uns künftig wieder häufiger unterkommen. Laut der Modesuchmaschine Tagwalk bestand die aktuelle Valentino-Kollektion zu 38 Prozent und die Chloé-Kollektion zu 53 Prozent aus durchsichtigen Modestücken. Auch der Londoner Designer David Koma setzte zuletzt auf Durchsichtbarkeit und das Label 16 Arlington kombiniert aktuell transparente Röcke mit gemütlichen Strickwaren. 

Franka Mainusch von der Modecoaching-Plattform Schrankwunder sieht den Trend als Symbol des Empowerments. Gemäß dem Motto: "Ich zeige dir was ich habe, aber lasse dir trotzdem Spielraum für Fantasie." 

         

Stilexpertin Franka Mainusch sieht den Trend zur Transparenz als Symbol des Empowerment

©Privat

Ursprünglich war das zarte, netzartige Gewebe vorwiegend für Unterröcke, Kopfbedeckungen oder auch Gardinen verwendet worden. Erst im 20. Jahrhundert kam die Wandlung zum gewagten Modestatement: In den 1920ern wurde Tüll mit Pailletten und Federn für Tanzkleidung verwendet; in den 1950ern ließ sich Christian Dior bei seinen Abendkleidern vom Ballett inspirieren. 

Madonnas Moment

Und dann kam am 14. September 1984 der unvergessliche Auftritt von Madonna

Madonna ist eine Ikone im Spiel zwischen Provokation und Eleganz

©EPA/FRANCK ROBICHON

Die damals 23-Jährige sollte die ersten MTV Video Music Awards in New York eröffnen. Sie bestand darauf, "Like a Virgin" von ihrem kommenden Album zu singen und MTV stimmte zu. Dazu wollte sie von einem bengalischen Tiger begleitet werden; das lehnte der Musiksender doch ab.

Und so tauchte die Sängerin aus einer fünf Meter hohen Hochzeitstorte auf, trug ein weißes Hochzeitskleid mit Bustier, Rosenkränzen, Perlen, fingerlosen Spitzenhandschuhen und einem weißen Gürtel, auf dessen Schnalle "Toy Boy" stand. Während des Auftritts schlängelte sie sich über den Boden; ihre Unterwäsche blitzte hervor. 

Die Sängerin erklärte später, sie hätte ihren Schuh verloren, wollte nach ihm greifen und entschied, es so darzustellen, als sei das Herumrollen beabsichtigt. Einige sorgten sich, dass Madonna ihre Karriere beendet hatte, bevor sie begann, doch weit gefehlt: Der Auftritt besiegelte ihren Ruf als Popstar und Mode-Ikone.

Seitdem taucht der aufregende Tüll und die lockende Spitze stetig wieder auf. "Man denke nur an Carrie Bradshaw aus 'Sex in the City'", sagt Franka Mainusch, "die in rosa Tüllrock, High Heels und Tanktop durch die Straßen von New York spaziert ist."

Sarah Jessica Parker als Carrie Bradshaw

Sarah Jessica Parker als Carrie Bradshaw

©airbnb.com/tara rice

Und erst im März sorgte Madonnas Tochter Lourdes bei der Saint Laurent Mode-Präsentation für Blitzlichtgewitter, als sie unter einem langen, schwarzen Mantel lediglich einen Spitzenbody trug.

So wird es alltagstauglich

Der freizügige Stil wirkt bei Filmpremieren, im Fernsehen oder am Laufsteg schnell eindrucksvoll, aber wie trägt man ihn im Alltag?

Am besten: geschichtet. Mit Jeans oder dicker Strumpfhose wirkt transparenter Stoff schnell dezenter. Stilexpertin Franka Mainusch ergänzt: "Die Modetrends zwischen informell und formell verschwimmen heutzutage. Wir tragen Jeans mit Spitzenbluse und High Heels oder einen Tüllrock mit wertigem Kaschmirpullover und Loafers. Alles ist erlaubt."

Eines sollte man aber doch bedenken: "Bei einem auffälligen Style wie einem Tüllrock versuche ich, diesen sprechen zu lassen." Mainusch kombiniert ihn also mit etwas Einfachem. Damit wird der Rock nicht überspielt, sondern bleibt - wie Jenna Ortega mit ihrer roten Robe - im Mittelpunkt. 

 

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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