Anna Flipo

Im Interview mit der französischen Parfümeurin Anne Flipo

Anne Flipo ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Die französische Parfümeurin versteht Düfte wie keine andere. Für ihre Werke wurde sie bei der diesjährigen Duftstars-Gala in Wien mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet.

Warum sind Sie eigentlich Parfümeurin geworden?
Anne Flipo: Ich bin im Norden Frankreichs aufgewachsen, umgeben von einem wunderschönen Garten. Vielleicht war es dieser Garten, oder mein Vater, der in der Zuckerindustrie arbeitete, oder meine Großmutter, die  sich in vielen Künsten, darunter auch dem Kochen, auszeichnete. Als es für mich an der Zeit war, entschied ich mich gegen den Willen meiner Eltern für die ISIPCA (eine renommierte französische Parfümerieschule, Anm. d. Red.).
Sie waren unter anderem Schülerin von Duft-Legende Michel Almairac. Was haben Sie von ihm gelernt?
Als ich das Riechen professionell erlernte, fühlte es sich für mich wie eine Selbstverständlichkeit an. Ich hatte das Glück von Michel Almairac, aber auch von Jean-Louis Sieuzac, Parfümeuren mit einer herausragenden Erfolgsbilanz, ausgebildet zu werden. Bei der Parfümerie geht es vor allem um die Weitergabe: Man lernt durch Beispiele und entwickelt dann seinen eigenen Stil. Meine Mentoren waren großzügig und teilten ihr Handwerk mit mir. Ich lege Wert darauf, das Gleiche auch mit meinen Studierenden zu tun.
Woran kann es Ihrer Meinung nach liegen, dass Männer nach wie vor die Parfümerie dominieren? 
Ich bin mir nicht sicher, ob Männer heute noch die Parfümerie dominieren! Als ich anfing, sagte man mir: „Eine Parfümeurin: Auf keinen Fall.“ Glücklicherweise war meine Mutter, als sie uns großzog, besessen davon, meiner Schwester und mir zu sagen, dass wir genauso viele Möglichkeiten hätten wie Buben, wenn nicht sogar mehr. Bei IFF (dem Unternehmen International Flavors & Fragrances, Anm. d. Red.)  war es  offener, es gab Frauen, die alle Chancen übertroffen hatten, wie Joséphine Catapano und Sophia Grojsman, die eine der besten Düfte der Branche erfanden. IFF war auch das erste Unternehmen, das die Zusammenarbeit zwischen Parfümeuren förderte.  Es ist eine Herausforderung, aber man lernt daraus. Es hat auch mir sehr geholfen. Neugier, Ehrlichkeit, Respekt, Emotion, etc. Das ist es, was einen selbst auf die nächste Ebene bringt.
Können Sie für uns kurz den kreativen Prozess beschreiben, wenn Sie ein neues Parfum entwickeln?
Ich bin sehr streng und selbstdiszipliniert. Das liegt wohl an meiner Erziehung. Heute, nach 35 Jahren in der Branche, arbeite ich noch immer im gleichen Rhythmus. Essenziell dabei ist, dass ich zwischen 14 und 16 Uhr nicht aktiv bin. Ich bin anwesend und abwesend. Ich befinde mich dann in einem Schwebezustand, in dem meine Ideen kommen und gehen können. Es ist wie ein hoch orchestrierter meditativer Prozess, der es mir ermöglicht, mit meinem Gehirn zu spielen: alles reinlassen und alles rauslassen. 
Welche Vorgaben bekommen Sie, wenn Sie einen neuen Duft kreieren sollen?
Wenn ich einen Duft kreiere, geht es zunächst wirklich nur um das Vergnügen und die Fragen: Riecht er gut? Ist es unvergesslich? Bewegt er dich? 
Ein Parfüm zu kreieren bedeutet, Geschichten über menschliche Begegnungen und Geschichten über Emotionen zu kombinieren.
Spielen Bio-Qualität und möglichst natürliche Inhaltsstoffe auch bei den Parfums eine zunehmend wichtige Rolle? 
Wichtig ist die kombinierte Nachhaltigkeit der Zutaten, mit denen wir arbeiten. Bei IFF arbeiten unsere Expertinnen und Experten  eng mit Landwirten und Produzenten zusammen, um natürliche Inhaltsstoffe zu produzieren, die besser für die Umwelt und die Menschen sind. Aber auch unsere Moleküle werden zunehmend mit grüner Chemie hergestellt.
Wie lange dauert es normalerweise, ein neues Parfum zu entwickeln, und welche Schritte sind dabei erforderlich?
Im Fall von „Libre“ dauerte es  von der ersten Idee bis zur Fertigstellung 2019 acht Jahre. Das ist ein Rekord, aber es kann manchmal auch nur ein Jahr dauern.
Wie findet man den perfekten Duft für sich selbst?
Sie müssen sich die Zeit nehmen, an Ihrer Haut zu riechen, und zwar zu verschiedenen Zeitpunkten: beim ersten Aufsprühen, nach ein paar Stunden und noch einmal am Ende des Tages.
Sie müssen sich die Zeit nehmen, an Ihrer Haut zu riechen, und zwar zu verschiedenen Zeitpunkten: beim ersten Aufsprühen, nach ein paar Stunden und noch einmal am Ende des Tages.
Balance.
Wonach riechen Sie gerade? Und warum?
Ich trage „Libre Intense“ von YSL. Es ist eine neue Interpretation des ursprünglichen Akkords aus cremiger Orangenblüte und Lavendel mit einem äußerst süchtig machenden Vanille-Akkord.

 

Ein besonders feines Näschen

Anne Flipo wuchs in der französischen Kleinstadt Laon auf, wo sie bereits im heimischen Garten erste Berührungen mit Düften machen durfte. Ihr Weg als Parfümeurin startete schließlich mit ihrer Ausbildung am  ISIPCA in Versailles, einer international anerkannten Kaderschmiede. Seit 2004 arbeitete Flipo für das Unternehmen IFF (International Flavor & Fragrance). In ihrer steilen Karriere konnte sie bereits zahlreiche Erfolge verbuchen und mit den renommiertesten Marken zusammenarbeiten. Sie setzte sich nicht nur in einer Branche durch, die teils noch immer als Männerdomäne gilt, sondern darf sich seit 2019 auch „Master Perfumer“ nennen. Ein Titel, den nur wenige tragen dürfen. Viele ihrer fast 200 Kreationen sind weltweit bekannt und beliebt. Dazu zählen unter anderem „Libre“ von Yves Saint Laurent, „Love Story“ von Chloé oder „Lady Million“ von Paco Rabanne, das sie gemeinsam mit  Dominique Ropion und Beatrice Piquet kreierte. Anne Flipo zählt daher zurecht zu den gefragtesten Parfümeuren der Welt. 

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