The shadow of a quarreling couple. fight between husband and wife.

Von Drama zu Dialog: Wie KI hilft, besser zu streiten

Mit digitalen Helfern wie „ConflictLens“ will KI Paaren beibringen, konstruktiver zu streiten.

Wer viel streitet, steckt in der Krise und riskiert die Trennung, hieß es einst. Viele litten lieber stumm, bis eines Tages eintrat, was Erich Kästner so beschrieb: Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Und heute? Heute wagt sich sogar künstliche Intelligenz an das Thema. Das US-Projekt „ConflictLens“ analysiert Paargespräche, markiert destruktive Muster und schlägt deeskalierende Formulierungen vor. Die Frage lautet also: Verändert sich unsere Streitkultur gerade grundlegend – durch Forschung, gesellschaftliche Trends, digitale Helfer?

Es geht um ein Urthema der Liebe. Kaum ein Paar, das nicht irgendwann aneinandergerät. Und doch halten sich Mythen hartnäckig: Harmonie sei das höchste Gut, wer oft streitet, lebe am Abgrund des Auseinanders. Forschung und Praxis zeigen ein anderes Bild. Konflikte sind kein Zeichen des Scheiterns, sondern können die Liebe sogar stärken. „Eine Paarbeziehung verbessert sich nicht, wenn sich das Geld auf der hohen Kante türmt und man entspannt am Strand Mojitos schlürft. Sie wächst im Sturm. Und daran, wie wir miteinander umgehen, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind“, sagt der Beziehungscoach Dominik Borde, Institut für Sozialdynamik.

Konfliktbewusstsein

Genau hier setzen neue digitale Werkzeuge an. „ConflictLens“, entwickelt an der Northwestern University, ist ein Prototyp, der mit großen Sprachmodellen arbeitet. Paare können ihre Gespräche eingeben, die Software markiert Eskalationsmuster – Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Abwertungen – und bietet alternative Formulierungen an. Ziel ist nicht, Menschen zu ersetzen, sondern Bewusstsein zu schaffen. Erste Tests zeigen, dass Nutzer so klarer sehen, welche Schleifen sich ständig wiederholen. Und „ConflictLens“ ist nicht allein: Die „Repair App“ aus den USA bietet geführte Sitzungen mit einem virtuellen Coach, der Paaren hilft, Emotionen zu regulieren und Konflikte konstruktiv zu lösen. Viele weitere Apps versprechen 24/7-Beziehungsberatung per Smartphone, samt Begleitung durch Konflikte. Sie alle eint die Idee, dass Streit nicht verdrängt, sondern strukturiert bearbeitet werden sollte. Borde sieht darin Chancen, aber auch Grenzen: „Programme können Menschen bewusster machen. Aber den Faktor Mensch ersetzen sie nicht.“ So oder so seien Konflikte Teil der Entwicklung: „Paare haben nicht immer neue Konflikte, sondern meistens denselben. Wer lernt, die Muster dahinter zu erkennen, wächst gemeinsam.“

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Beziehungscoach Dominik Borde über Streit

©Sozialdynamik

Zufriedenheit schwankt

Tatsächlich belegen aktuelle Studien diese Sichtweise. Forschende aus Mainz haben vor Kurzem gezeigt, dass Beziehungszufriedenheit bereits im Tagesverlauf stark schwanken kann. „Diese Schwankungen sind normal. Sie können aber auch auf unerfüllte Bedürfnisse in der Beziehung hinweisen“, sagte die Erstautorin der Studie, Louisa Scheling vom Psychologischen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität. Sie sieht hier einen möglichen Anknüpfungspunkt, um einerseits die Kommunikation über die eigenen Erwartungen und andererseits die Wahrnehmung der Bedürfnisse des Partners zu verbessern – und so zur Verbesserung der Beziehung insgesamt beizutragen. Wiederkehrende Mini-Krisen der Liebe und Stimmungstiefs sind also normal – und kein Grund, gleich eine Trennung anzupeilen. Entscheidend ist, ob man den anderen als ansprechbar erlebt.

Borde formuliert es so: „Zerbrochenes Geschirr heißt noch lange nicht: Beziehung kaputt. Gefährlich wird es erst, wenn einem der andere egal ist. Gleichgültigkeit ist das wahre Ende.“ Psychologisch wird zwischen destruktivem und konstruktivem Streiten unterschieden. Letzteres bedeutet: Man ringt um Verständnis, nicht um Sieg. Borde nennt vier Schritte, die Paare weiterbringen: Muster erkennen, Kommunikation verbessern, Verletzlichkeit zeigen und Rituale pflegen. „Dort, wo wir am wundesten sind, reagieren wir am heftigsten. Wer lernt, sich an diesem Punkt zu öffnen, gewinnt Intimität zurück.“ Doch nicht jedes Paar streitet gleich. Der eine will so lange reden, bis alles geklärt ist, die andere braucht erst Abstand. Treffen solche unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander, sind Enttäuschungen meist vorprogrammiert.

Streiten per Textnachricht

Hinzu kommt die digitale Kommunikation. „Ein getipptes ,Ich liebe dich‘ kann warm klingen oder kalt wie ein Befehl. Auf Whatsapp fehlen Tonfall, Mimik“, so Borde. Missverständnisse kumulieren noch rasanter. Auch gesellschaftliche Trends spielen hinein. Die Aufmerksamkeitsspanne schrumpft, soziale Medien belohnen Empörung stärker als Zuneigung. „Wir waren noch nie so verbunden wie jetzt und gleichzeitig noch nie so einsam“, sagt Borde.  „Online wird Ärger schnell getriggert. Das färbt auf unsere Beziehungen ab.“ Am Ende bleibt die Erkenntnis: Streit ist kein Defekt, sondern ein Werkzeug. Die neuen digitalen Mediatoren können bewusster machen. Doch ersetzen können sie nicht, was jede Beziehung braucht: Menschlichkeit, Humor und die Bereitschaft, Brücken zu bauen statt Mauern.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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