
Sexualberaterin: "Erotische Fantasien von Frauen sind extrem vielfältig"
Zwischen Alltagsstress und Rollenerwartungen kommt vielen im Schlafzimmer die Begierde abhanden. Eine Sexualwissenschafterin über falsche Vorstellungen, fehlende Höhepunkte und Wege aus der Lustlosigkeit.
Über viele Jahre hat Julia Sparmann in ihrer Praxis Frauen begleitet, die mit ihrem Sexleben unzufrieden waren. „Da habe ich gesehen, wie groß die Unsicherheit und der Druck rund um weibliche Sexualität noch immer sind“, sagt die Autorin, Sexualwissenschafterin und -beraterin zum KURIER. Ihr Appell: Frauen sollten sich frei machen, bevor sie im Bett neu durchstarten können.
KURIER: Ihr Buch heißt „Befreite Lust“. Wovon sollten sich Frauen befreien?
Julia Sparmann: Von Leistungsdruck, von Stress und von gesellschaftlichen Bildern, wie „richtiger“ Sex auszusehen hat. Zu viele Frauen fühlen sich falsch oder unzulänglich, weil sie nicht in stereotype Vorstellungen passen. Mein Anliegen ist, Lust von diesen Idealisierungen zu befreien und sie als etwas Authentisches, Eigenes und sich ständig Veränderndes zu begreifen. Das ermöglicht es auch, frei für das Erkunden der eigenen Sexualität zu sein, falls der bisherige Sex Frauen nicht erfüllt.
Ihr Buch ist ein „Übungsbuch“, das Übungen, Körperarbeit und Achtsamkeit kombiniert. Warum ist dieser Zugang wichtig, wenn es um weibliche Sexualität geht?
Sexualität ist nichts, was sich rein theoretisch begreifen lässt – sie wird erlebt. Vielen Frauen fällt es schwer, sich mit ihrem Körper verbunden zu fühlen oder sie haben gelernt, ihre Impulse zu übergehen. Übungen und Achtsamkeit helfen, wieder ins Spüren zu kommen, Grenzen wahrzunehmen und sich selbst neu zu entdecken. Die Übungen sind Einladungen, die eigene Lustspur spielerisch zu verfolgen.

Die Sexologin Julia Sparmann verhilft Frauen zu mehr Lust.
©Michaela GrönnebaumAuch Frauen haben sexuelle Fantasien, sprechen aber seltener darüber. Welche begegnen Ihnen in der Praxis?
Erotische Fantasien von Frauen sind extrem vielfältig. Sie sind eine besonders kreative Leistung und können der eigenen Lust sehr dienlich sein. Fantasien können aber auch belasten. Zum Beispiel, wenn sie sich im Liebesspiel mit der Partnerperson immer in den Vordergrund drängen und den intimen Kontakt erschweren, oder wenn Frauen moralische Konflikte mit den Inhalten erleben. Wichtig zu verstehen ist hier, dass Fantasien nicht zwingend sexuelle Wünsche sind, sondern ein Spiel mit Bildern und Szenarien, die berauschen können.
Eine Studie zeigte kürzlich, dass Stress ein echter Lustkiller ist – bei Frauen mehr als bei Männern. Warum ist das – noch immer – so?
Weil Stress direkt in den Körper wirkt – er versetzt das Nervensystem in Alarmbereitschaft und erzeugt Spannung. Anhaltende Spannung erschwert die Atmung und die Durchblutung, auch im Beckenbereich. Gerade Frauen erleben dann, dass sich die Lust schwer einstellt oder Penetration unangenehm bis schmerzhaft wird. Stress trifft sie stärker, weil noch immer viele Rollenerwartungen und Mehrfachbelastungen auf ihren Schultern liegen.

Julia Sparmann: „Befreite Lust. Ein Übungsbuch für Frauen“ Hirzel Verlag. 232 Seiten. 24 Euro
©HirzelWas sind die Probleme, die viele Frauen einen?
Sehr viele Frauen fühlen sich in ihrer Sexualität unsicher oder unzulänglich – sei es, weil sie vermeintlich zu wenig Lust auf Sex haben, weil der Orgasmus anders ausfällt als erwartet, sie wenig Zugang zu ihrer Vagina haben oder dieser mit Schmerzen einhergeht. Unterm Strich – weil sie das Gefühl haben, „nicht richtig zu funktionieren“. Dieses Gefühl, „falsch“ oder „kompliziert“ zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch viele Geschichten.
Zuletzt gab es viel Aktionismus für einen vielfältigeren Schönheitsbegriff. Wie sehr stehen Frauen noch unter dem Druck, sexy und schlank sein zu müssen?
Nach der sexuellen Revolution haben Frauen viel erkämpft – Selbstbestimmung, Zugang zu Verhütung, ein Recht auf Lust. Gleichzeitig haben sich neue Idealisierungen etabliert: Man sollte „immer“ Lust haben, multipel orgasmisch sein, vielseitig und schön. Diese Imperative lassen viele Frauen an sich zweifeln. Der Weg daraus ist, das eigene „Richtig“ zu finden.
Ein weiteres Thema mit Geschlechterbezug ist die Orgasmus-Lücke zwischen Frauen und Männern. Wie könnte sich diese schließen?
Indem wir den Mythos vom „einen richtigen Orgasmus“ verabschieden. Orgastisches Erleben ist vielfältig, nicht nur klitoral oder vaginal. Die „Lücke“ schließt sich, wenn Frauen ihre eigenen Erregungswege kennenlernen, noch mehr für sich einstehen – und Paare den Fokus weg vom Ziel, hin zum gemeinsamen Spüren lenken.
Kommentare