Offene Worte am Plaudertischerl

Die Diakonie bringt Einsame online und in Kaffeehäusern zusammen. Die Projektleiterin erzählt – auch über sich.

„Mir ist es echt nicht gut gegangen.“ Sie sagt das nicht laut, bevor ihr der nette Kellner im Wiener Café Florianihof (vor dem Lockdown) noch ein Glas Wasser auf den Tisch stellt. Dem Zuhörer ist sofort klar, dass sie soeben über ihren eigenen Schatten springt. Steffi Meier arbeitet für die Diakonie der evangelischen Kirche, sie leitet dort ein mehr als nur aktuelles Projekt: s’ Plaudertischerl.

Wie gesagt, sie leitet das Projekt, doch es fällt auch ihr schwer, dieses bohrende Gefühl der Machtlosigkeit offen anzusprechen. Dass man sich einsam fühlt, so etwas spürt man, aber man redet nicht darüber. Aus Angst vor dem Zeigefinger anderer. Dabei leidet mitten in der Pandemie bereits einer von fünf Menschen in Österreich an dem Gefühl, mit seinen Sorgen alleine dazustehen.

©Kurier/Juerg Christandl

Für Einsame reserviert

Die 31-jährige Grazerin findet an dem Tischerl des Florianihofs, das ab Montag wieder für Einsame reserviert ist, die richtigen Worte: „Ich habe mich wie ein Alien gefühlt.“ Nach dem Umzug nach Wien fehlte ihr alles, was ihr in Graz vertraut war: Ihre Familie, langjährige Freunde.

In der fremden Stadt fand sie sich nicht sofort zurecht: „Heute weiß ich, dass das zwar ein subjektives Gefühl ist, dass damit aber auch andere Menschen zu kämpfen haben.“

Auch in einer funktionierenden Beziehung und mit einer Arbeit, die einem Freude bereitet, sei man nicht gegen die Einsamkeit gefeit, weiß Steffi Meier heute. „Bei mir machte sie sich oft bemerkbar, wenn ich den Laptop im Büro zugeklappt habe.“

Niemanden konnte sie auf ihrem Heimweg besuchen. Und niemand wollte am Abend bei ihr zu Hause anläuten, um gemeinsam mit ihr zu kochen. „Gleichzeitig hatte ich echt Angst, dass ich meine Freunde in Graz verlieren könnte.“

Ihr Hobby, das Mountainbiken, habe sie letztendlich zurück in die Spur geführt: „Das ging nicht von heute auf morgen. Aber durch die gemeinsamen Ausfahrten habe ich dann Menschen kennengelernt, mit denen ich offen reden konnte.“

Der Sport bietet immer eine gute Gelegenheit, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Für jene, die nicht so gerne sporteln, könnte das Plaudertischerl eine Alternative sein. Inzwischen konnten Steffi Meier und zwei engagierte Kolleginnen in der Diakonie rund fünfzig Cafetiers in Wien, Krems und Sankt Pölten für ihre Initiative gewinnen.

Ein Schild mit speziellem Logo weist dezent und doch unmissverständlich darauf hin, dass dieses Tischerl für Menschen reserviert ist, die sich im Moment einsam fühlen. Dankbar fügt Steffi Meier hinzu: „Und es herrscht an diesen Tischen auch kein Konsumationszwang.“

©Kurier/Juerg Christandl

„Ein Tisch der Mehrsamkeit“

Die Pandemie hat diesem Projekt, das erst kurz davor gestartet worden war, schon mehr als einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und doch gibt es bereits eine ganze Reihe von Kaffeehausbesuchern, die gerne belegen, dass sie davon persönlich profitiert haben. So verabschiedete sich ein Teilnehmer am Ende einer nicht nur für ihn aufbauenden Gesprächsrunde mit den Worten: „Das war ein Tisch der Mehrsamkeit.“

Wichtig ist der Projektleiterin der Hinweis, dass die Treffen in den Kaffeehäusern nicht moderiert sind: „Weil wir keinen Rahmen vorgeben wollen“, erläutert sie. Anders ist es bei den Internet-Treffen, die täglich stattfinden: „Für die virtuellen Veranstaltungen stehen uns zwanzig Freiwillige zur Seite, die auch als Moderatoren fungieren. Sie haben alle genügend Fingerspitzengefühl, um die Gespräche gut zu leiten.“

„Erste Brücke zum Menschen“

Steffi Meier hat übrigens erst durch die regelmäßige Arbeit für das Plaudertischerl für sich erkannt, dass ihr ursprüngliches Unwohlsein in Wien ihrer Einsamkeit geschuldet war: „Alle Symptome, die ich in der Literatur gefunden habe, haben auf mich voll zugetroffen. Mir war das damals gar nicht so klar.“

Die Einsamkeit war bei ihr eine durchaus längere Episode im Leben. Mittlerweile spürt sie wieder Boden unter ihren Füßen. Geholfen haben ihr dabei die intensiven Gespräche, die sie mit einigen Menschen ihres Vertrauens geführt hat.

Am Ende zitiert Steffi Meier den Satz, den sie beim bekannten Autor Albert Camus gefunden hat: „Das Gespräch ist die erste Brücke zum Menschen.“ Diese Brücke kann nun auch an den Tagen rund um Weihnachten angesteuert werden.

Herzliche Einladung

Termine auch am Heiligen Abend: Im Café Florianihof im achten Bezirk findet am 24. 12. von 10 bis 12  Uhr ein „Plaudertischerl“ statt, zu dem man sich allerdings anmelden muss, unter: [email protected]. Zoom-Treffen für Einsame gibt es auch rund um Weihnachten. Alle Präsenz- sowie virtuellen Termine auf einen Blick hier.

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Uwe Mauch

Über Uwe Mauch

Uwe Mauch, geboren 1966 in Wien, seit 1995 Redakteur beim KURIER, Autor lebensnaher Porträts und Reportagen sowie zahlreicher Bücher, unter anderem: "Unsere Nachbarn", "Wien und der Fußball", "Lokalmatadore", "In 80 Arbeitstagen um die Welt", "Stiege 8/Tür 7. Homestorys aus dem Wiener Gemeindebau", "Die Armen von Wien" (2016) sowie eines "Wien"- und eines "Zagreb"-Stadtführers.

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