Wie es wirklich ist als männlicher Escort zu arbeiten - ein Gespräch

In „Meine Stunden mit Leo“ sucht eine pensionierte Lehrerin nach dem späten sexuellen Glück. Dabei soll ihr ein Callboy helfen. Wie es im echten Leben männlicher Escorts zugeht, erzählen zwei Gigolos.

Nancy mag man. Leo auch. Ein seltsam-sympathisches Paar, das in der neuen Komödie „Meine Stunden mit Leo“ zu sehen ist. Darum geht es: Nancy Stokes ist pensionierte Lehrerin und Witwe. Leo Grande ist Callboy. Sie hatte ihr Leben lang ausschließlich (schlechten) Sex mit ihrem nunmehr verstorbenen Ehemann. Er erfüllt Frauen intime Wünsche – gegen Geld. Nancy beschließt, doch noch etwas zu erleben, um vielleicht den ersten Orgasmus ihres Lebens zu haben. Wenigstens aber Dinge zu probieren, die sie noch nie gewagt hat. Sie bucht Leo, einen empathischen jungen Profi mit viel Gefühl. Nancy hat sogar eine To-do-Liste verfasst, die sie mit ihm abarbeiten möchte: Blowjob, Cunnilingus, 69, Reiterstellung, Doggy-Style. Es kommt anders. Mehr sei nicht verraten, sehenswert ist der Film allemal. Weil er nicht nur witzig ist, sondern wichtige Themen berührt: das Altern, Scheinmoral, Body Positivity, Sexarbeit.

Für den Film hat Regisseurin Sophie Hyde vorab mit echten Sexarbeitern gesprochen, dabei war Empathie stets ein großes Thema  

©Filmladen Filmverleih

Männer zum „Mieten“ – ob als Escort zu Veranstaltungen, Geschäftsessen oder als Lustknabe: eher eine tabuisierte Nische. Die weibliche Hemmschwelle ist hoch. Entsprechend überschaubar ist das Angebot. Frauen sind wählerischer, zudem dreht sich bei vielen gar nicht alles nur um Sex. Es ist kompliziert: „Viele Frauen wollen nur reden, manche buchen aber auch für Geschäftsabschlüsse. Dafür studieren die Escortmänner eine Rolle als Alibibegleiter ein. Manche buchen einen Mann tatsächlich gezielt für Sex. Sie reservieren eine Suite in der Innenstadt, gehen erst essen, um erst danach zu entscheiden, wie es weitergeht“, erzählt eine Insiderin, die ihren Namen nicht nennen möchte, aber die Branche gut kennt. Die Kundinnen kommen vor allem aus der oberen Mittelschicht: Ärztinnen, Psychologinnen, Managerinnen. Frauen, die sich leisten können, für eine Nacht 1000 Euro zu zahlen. Dabei geht es viel um Aufmerksamkeit, Zuwendung, Bewunderung oder darum, einen charmanten Begleiter zu haben, der sie erst schmückt und schließlich beglückt. Die Schwingung muss stimmen, vielleicht sogar das Herz ein bisschen höher schlagen. Frauen sind anders als Männer, sie brauchen das Gesamtheitliche, die Vernetzung im Kopf, wollen sich unterhalten. „Ich muss schauen, ob der Mann wirklich zu mir passt, mag ihn beschnuppern. Dafür brauche ich Zeit“, erzählt eine 48-Jährige, die sich manchmal einen Callboy gönnt.

Sich im Moment verlieren

Vielleicht nennt sich Callboy Noah deshalb „Der Zeitverwandler“. Gerade ist der 27-Jährige nach Düsseldorf gezogen, um auch dort seinem Nebenjob nachzugehen. „Ich will, dass Frauen die Zeit vergessen, wenn sie mit mir zusammen sind. Als würden die Uhren stehen bleiben und man sich im Moment verlieren“, erzählt er. Das verkauft sich vermutlich gut. Viele seiner Kundinnen seien gestresst, weil sie im Alltag nonstop funktionieren müssen. Manche sind vom Leben enttäuscht, weil sie in ihren Beziehungen keine sexuelle Erfüllung mehr erleben und sich nach Abenteuer sehnen. „Die Motive sind so vielfältig wie die Frauen selbst“, sagt er. Gefunden haben wir den jungen Mann via callboyz.net, eine deutsche Plattform, auf der sich Edel-Gigolos präsentieren. Und so sitzt Noah in seiner Lieblingsosteria, um mit uns per Telefon über sein Escort-Leben zu plaudern. Sich selbst beschreibt er in Profi-Manier: knapp 1,88 groß sei er, 73 kg schwer, sportlich, definiert, braungebrannt, Typ Südländer. Seine Stimme ist, wie soll man sagen? So, wie man sich die Stimme eines Callboys vielleicht vorstellt: tiefes Timbre, geschmeidig. „Viele denken, ich sei Spanier oder Grieche, ich komme aber aus der Ukraine“, erzählt Noah. Vor elf Jahren ist er nach Deutschland ausgewandert, hat sich in jungen Jahren ein Leben aufgebaut.

Thomas Stipsits alias Georgy Hillmaier in „Love Machine 2“, u. a. mit Ulrika Beimpold und Claudia Kottal

©Allegro Film/Felix Vratny

„Kirsche auf der Torte“

Darauf beruhe auch seine spezielle Vorliebe für reifere Frauen: „Ich fand Mädels in meinem Alter langweilig, hatte andere Interessen als sie, musste früh Verantwortung übernehmen. Ich war schüchtern. Mit 17 hatte ich meinen ersten Sex – mit einer 27-Jährigen.“ Irgendwann wurde seine Vorliebe zum Geschäftsmodell. Hauptberuflich ist Noah im Vertrieb tätig. „Ich verkaufe in beiden Bereichen was – als Callboy dann halt eine unvergessliche Zeit.“ Das Geld dafür sei für ihn nur die „Kirsche auf der Torte“. Obwohl er im Grunde Teilzeit-Sexarbeiter ist, fühle er sich nicht als solcher: „Ich bin so viel mehr. Ein Psychologe, ein Mensch, der ein offenes Ohr hat, zuhört, redet und die Frau mitunter berät. Wenn es zu Sex kommt, wunderbar.“ Den Film „Meine Stunden mit Leo“ hat Noah bereits mit zwei „Damen“ gesehen und war begeistert: „Weil ich mich sehr gut mit Leo identifizieren kann. Bei ihm steht die Frau im Mittelpunkt, ihre Zufriedenheit, ihre Fantasie. Das ist die richtige Haltung.“

„Ich bin mehr. Ein Psychologe, ein Mensch, der ein offenes Ohr hat, zuhört,  redet und Frauen mitunter berät. “ Noah, 27, Callboy

©Stefan Kiesel/callboyz.net

Der Glückskonsulent

Ein bisschen anders sieht das Ray Drecker, ein Wiener, der unter diesem Pseudonym als „Happiness Consultant“ Damen beglückt. Für ein persönliches Interview stand er nicht zu Verfügung, den Film hat er sich trotzdem für uns angesehen. So wie Leo würde er nicht agieren: „Ich würde mich nie mit einer Klientin direkt im Hotelzimmer treffen, wenn ich sie nicht vorher ein bisschen kennengelernt habe.“ Vor einer Buchung trifft er die Dame an einem öffentlichen Platz, meist im Kaffeehaus, oft auch im Park. „Im Gespräch lerne ich sie kennen und sie mich, in dieser Kennenlernstunde haben wir beide die Möglichkeit, die Buchung zu stornieren, ohne dass Kosten entstehen.“ Aus Rays Sicht sei es wichtig, möglichst viel vorab zu definieren: Was sie sich vom Treffen erwartet, welche Kleidung oder Parfüm er tragen soll, was sie erleben will. „So kommt es meist zu keinen unerwarteten Herausforderungen wie im Film.“ Auch ihm sei wichtig, Frauen eine unbeschwerte Zeit zu bescheren. Seine Klientinnen, meist zwischen 40 und 82 wünschen sich Zuwendung. „Sex ist nur manchmal ein Thema.“ Den Job empfinde er als Liebhaberei und interessante Nebenbeschäftigung, für die man spezielle Fähigkeiten mitbringen sollte: „Du musst Menschen lieben, Menschenkenntnis haben, soziale Kompetenz. Du brauchst Einfühlungsvermögen, psychische Stärke und manchmal Ausdauer, wenn gewünscht.“ Das Profil eines Frauenverstehers, also. Ehrlichkeit sei unabdingbar – sich selbst und den Kundinnen gegenüber. Allerdings sei Escort für Frauen gesellschaftlich noch immer nicht akzeptiert und trägt immer noch den Hautgout eines „No-go“.

Noah bringt’s auf den Punkt: „Beim Callgirl-Escort ist Aussehen das wichtigste, innere Werte zählen nicht. Männer schauen auf das Äußere – Oberweite, Hintern. Bei den Damen zählt zwar auch gutes Aussehen, darüber hinaus sind Niveau und Empathie wichtig.“ Sein letzter Satz klingt fast kitschig: „Frauen brauchen etwas anderes, das versuche ich ihnen zu geben. Denn wenn sie glücklich sind, dann ist die Welt glücklich.“

„Meine Stunden mit Leo“ („Good Luck To You, Leo Grande“) ist ein Kammerspiel mit der fantastischen Emma Thompson als pensionierte Lehrerin Nancy und Daryl McCormack als Callboy Leo

©Filmladen Filmverleih
Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

Kommentare