
Können Narzissten wirklich lieben?
Die ersten Wochen mit einem narzisstischen Partner fühlen sich oft wie die große Liebe an: intensive Nähe, perfekte Harmonie, grenzenlose Leidenschaft. Doch die Zuneigung ist selten echt.
Von Eileen Wagner
Auch wenn narzisstische Liebe scheinbar alles verspricht: Sie hält sich fast nie an die Illusion, die sie vorgibt. Die Berliner Diplompsychologin und Psychotherapeutin Lisa Zimmermann begegnet in ihrer therapeutischen Arbeit regelmäßig Menschen in narzisstischen Beziehungen: Auf den magischen Anfang folgen häufig Verwirrung und psychische Erschöpfung.
Wenn narzisstische Menschen lieben, erscheint die Intensität dieser Liebe laut der Expertin zunächst unüberbietbar. Diese erste Phase sei von der Idealisierung des Narzissten geprägt. Das rührt allerdings nicht von ihrer authentischen Romantik, sondern gehört bereits zum narzisstischen Muster. Menschen mit narzisstischen Zügen würden ihre Partner nicht einfach nur mögen, sondern nahezu verherrlichen.
„Der andere wird nicht als Mensch gesehen, sondern als perfekte Ergänzung oder als Ideal“, sagt Zimmermann. Gerade in der Kennenlernzeit zeige sich der Narzisst deshalb von seiner brillantesten Seite: Er wirke charismatisch, aufmerksam, unterhaltsam. Genau vor diesem Verhalten warnt die Expertin: Eine narzisstische Person spüre, was ihr Gegenüber sucht, und liefere genau das.
Inszenierter Liebes-Himmel
Die Psychologin spricht in diesem Zusammenhang von „Love Bombing“; einer Strategie der emotionalen Überwältigung, bei der die Bedürfnisse des anderen nicht nur erkannt, sondern scheinbar mühelos erfüllt würden. „Das Gegenüber erlebt sich oft wie im Himmel – gesehen, gewollt, vollkommen angenommen“, sagt sie. Doch was wie tiefe Verbindung wirke, sei in Wahrheit eine sorgfältig inszenierte Erzählung zum eigenen Nutzen.
Die Verliebtheitsphase mit einem Narzissten sei eher eine Projektion als eine ehrliche Begegnung, sagt Zimmermann. „Der narzisstische Mensch braucht unablässig das Gefühl, liebenswert zu sein“, sagt die Psychologin. Die Liebe müsse so „einzigartig, gigantisch und berauschend“ sein wie das narzisstische Selbstbild.
Hält die Illusion nicht, kommt die"Enttäuschungswut"
Mit der Idealisierung seines Partners oder seiner Partnerin versucht der Narzisst sein eigenes Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Solange das Gegenüber die Rolle erfüllt, bleibt die Illusion bestehen. Doch wackelt das Bild, ist die Reaktion sowohl emotional als auch psychologisch heftig. Zimmermann beschreibt dieses Phänomen als „Enttäuschungswut“: ein Zorn, der entsteht, wenn die eigene Täuschung nicht mehr funktioniert.
Das Ideal bekommt Risse
„Sobald der andere nicht mehr zur inneren Idealvorstellung passt, beginnt das Bild zu bröckeln“, sagt die Psychologin. Zeigt sich der Mensch in seiner Ganzheit, treten in der idealen Vorstellung des Narzissten erste Risse auf. Während Eigenheiten, Grenzen und Widersprüche in gesunden Beziehungen normal seien, erschütterten sie in der Welt von Narzissten das innere Gleichgewicht. Dies zeige sich umso deutlicher, je weiter sich die Beziehung entwickle.
Aus Zuwendung wird Distanz, aus Interesse Kälte
Die Idealisierung des Narzissten dreht sich früher oder später ins Gegenteil: Was er eben noch bewundert hat, entwertet er nun. So wird aus Zuwendung Distanz und aus Interesse Kälte. Die Leidenschaft des Anfangs verwandelt sich zunehmend in ein System gegenseitiger Erwartungen. Die narzisstische Person fordert die einst freiwillige Fürsorge dann spürbar ein.
Zimmermann beschreibt diesen Übergang als schleichende Verschiebung der Machtverhältnisse. Aus romantischer Nähe werde ein emotionales Geschäftsmodell: Der Narzisst bestimme, was Liebe zu sein habe, und der Partner liefere. Anfangs erschienen die Gefälligkeiten noch beiläufig: ein Wunsch, ein kurzes Danke, eine charmant formulierte Bitte. Später würden aus Bitten Forderungen und aus Dankbarkeit Selbstverständlichkeit.
„Solange sich der Narzisst verstanden und angenommen fühlt, solange sich der Partner um ihn kümmert und auf ihn einstellt, funktioniert die Beziehung“, erklärt Zimmermann. Werde die Dynamik gestört, entziehe sich der Narzisst durch Schweigen, Rückzug, Schmollen oder subtilere Mittel wie Gaslighting und emotionale Erpressung. Das Ziel des Narzissten: das Verhalten des Partners so zu beeinflussen, dass die alte Ordnung wiederhergestellt wird.
Liebe wird zur Falle
Für den harmoniesuchenden Partner wird diese Spirale zur Falle. Wer liebt, will nicht verletzen oder verlassen werden – und beginnt, sich anzupassen. Zimmermann: „Viele merken nicht, wie sie Schritt für Schritt in eine dienende Rolle gedrängt werden.“ Nähe und Distanz wechselten sich dabei ab wie Zuckerbrot und Peitsche. Sei der Narzisst zufrieden, lasse er Nähe zu. Bis zur nächsten Störung.
Höllisches Ende
Kann ein Narzisst lieben? Die nüchterne Antwort lautet: nicht im klassischen Sinne. Was wie Liebe aussieht, dient oft nur der Selbstvergewisserung. Was wie Fürsorge erscheint, ist meist Kontrolle. Und was wie Nähe wirkt, ist häufig Teil eines emotionalen Spiels.
„Narzisstische Beziehungen beginnen wie im Rausch – und enden in der Hölle“, fasst Zimmermann zusammen. Wer geliebt werde, sei in diesen Konstellationen kein Subjekt, sondern gleichermaßen Objekt und Teil einer Inszenierung. Der einzige Zweck: das fragile Selbstbild des Narzissten zu stabilisieren.
Kommentare