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Wandel

Niko Rittenau: Der Veganer, der jetzt Hühner züchtet

Niko Rittenau hat Bestseller über rein pflanzliche Ernährung geschrieben. Heute sagt er: "Veganismus ist eine Weltanschauung, die blind machen kann."

Es war der meistverkaufte Ernährungsratgeber über Veganismus im deutschsprachigen Raum: „Vegan-Klischee ade!“ von Niko Rittenau wurde 2020 zum Bestseller. Auf Instagram erklärte er, wie vorteilhaft rein pflanzliche Ernährung ist. 

Doch dann kam die Abkehr vom strengen Veganismus: Der gebürtige Kärntner vertritt nun die Ansicht, dass tierische Produkte gerade in kritischen Lebensphasen, wie einer Schwangerschaft, wichtig sind. Ein Interview über vegane Ideologie, die Kritiker und seinen Wandel.

Sie haben Bestseller über vegane Ernährung geschrieben, waren ein bekannter Veganinfluencer auf Instagram und verkaufen jetzt plötzlich Hühnereier. Was ist passiert?

 Mehrere Aspekte haben den Ausschlag gegeben, aber wesentlich war: Ich habe während meiner Doktorarbeit, an der ich seit drei Jahren arbeite, festgestellt, dass es in tierischen Lebensmitteln noch weitere, wenig erforschte Nährstoffe gibt, die in Pflanzen kaum oder gar nicht vorkommen und wir von den über 25.000 biologisch aktiven Substanzen in Nahrungsmitteln bisher ohnehin erst einen Bruchteil im Detail erforscht haben. 

Somit gibt es ein zu großes Risikopotenzial für bisher noch nicht absehbare Folgeschäden bei langjähriger rein veganer Ernährung gibt und darüber hinaus zeigen weltweit tausende Erfahrungsberichte von Ex-Veganern, dass sie trotz guter Planung und Supplementierung gesundheitliche Probleme entwickelten, die durch den Umstieg auf tierische Lebensmittel wieder verschwanden. 

Sie haben viele dieser Erfahrungsberichte ehemaliger Veganer aus der deutschen Community gesammelt, die von ihren gesundheitlichen Problemen erzählt haben, weil Sie für sie eine Anlaufstelle sind. 

Mittlerweile habe ich persönlich hunderte gut dokumentierte Erfahrungsberichte von Menschen bekommen, die mir geschildert haben, wie schlecht es ihnen erging. Genau dieses Problem habe ich auch in meinem direkten Familien- und Freundeskreis erlebt.

 Mir nahestehende Menschen, die überzeugt aus tierrechtlichen Gründen vegan gelebt haben, entwickelten massive gesundheitliche Probleme trotz ausgewogener Ernährung und guter Supplementierung: Muskelschwäche, Gedächtnisstörungen, ständige Erschöpfung. Wir haben bei ihnen sämtliche Blutuntersuchungen durchführen lassen – ohne Auffälligkeiten. Durch die erneute Inklusion tierischer Produkte wie Eier verschwanden diese Probleme und tauchten wieder auf, als die Tierprodukte nach einiger Zeit wieder exkludiert wurden. Seitdem sie sich wieder nicht mehr vegan ernähren, tauchten diese Probleme nie wieder auf.

Was ist im Ei enthalten, das so gesund sein soll?

 Neben den erwähnten, noch nicht näher erforschten biologisch aktiven Substanzen, die unsere Gesundheit beeinflussen, ist im Ei vor allem Cholin zu nennen, das erst vor weniger als 30 Jahren als essenzieller Nährstoff entdeckt wurde. Österreich gibt hier leider noch keine offizielle Empfehlung ab, die EFSA hingegen empfiehlt 400 mg Cholin täglich. Dieser essenzielle Nährstoff ist für zahlreiche Nerven- und Gehirnfunktionen von großer Bedeutung – insbesondere in der frühen Lebensphase spielt Cholin eine zentrale Rolle bei der Gehirnentwicklung. Cholin könnte man auch supplementieren, all die noch nicht näher identifizierten biologisch aktiven Substanzen jedoch noch nicht. 

Broken Egg

In Eiern enthaltenes Cholin unterstützt das Nervensystem und den Fettstoffwechsel 

©Getty Images/anilakkus/istockphoto

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden Studien nun nur zu Ihren Gunsten interpretieren, um Eier und Nahrungsergänzungsmittel besser zu verkaufen.

 Wenn es mir ums Geld gegangen wäre, hätte ich diesen Weg sicher nicht gewählt. Zu Beginn habe ich mehr als Dreiviertel meiner Einnahmen verloren, außerdem über 30.000 Follower, sämtliche Kooperationen mit veganen Organisationen und rund 50 Speaker-Aufträge im Jahr. Zudem habe ich die Nahrungsergänzungsmittel ursprünglich für Veganer entwickelt und dieses Geschäft lief sehr gut.

 Diese unreflektierte Kritik kommt ausschließlich von veganen Tierrechtsaktivisten – nicht von tatsächlichen Ernährungsfachkräften, die sich mit meiner Arbeit auseinandersetzen. Für meinen Geldbeutel wäre es das Beste gewesen, weiterhin der vegane Posterboy zu bleiben, aber es wäre unehrlich gewesen und entspricht nicht meinen Wertevorstellungen.

Oft wird salopp von einer Ersatzreligion gesprochen, wenn es um Vertreter eines strengen Veganismus geht. Gelten Sie bei einigen als Verräter oder Ungläubiger?

Religion basiert auf dem Glauben an etwas Übernatürliches, das ist hier nicht der Fall. Dennoch praktizieren viele Veganer ihre Lebensweise sehr dogmatisch und ideologisch. Wenn Ideologie überhandnimmt, stößt man mit Wissenschaft und faktenbasierten Informationen an Grenzen. Es ist eine Weltanschauung, die blind machen kann. Ich sehe mich in erster Linie als Wissenschaftler – auch wenn mir der Tierschutz sehr am Herzen liegt.

 Wie oft essen Sie nun Eier?

Ich ernähre mich nach wie vor überwiegend pflanzlich, achte aber darauf, dass ich etwa zehn Eier pro Woche konsumiere – beziehungsweise sie in meine Mahlzeiten einbaue, da sie mir geschmacklich gar nicht besonders zusagen. Fleisch esse ich ebenfalls nicht gerne und daher selten; mir schmecken pflanzliche Lebensmittel meist besser und ich hätte mir gewünscht, dass eine vegane Ernährung tatsächlich auf Dauer funktioniert.

 Ist der Vegan-Hype also vorbei – und würden Sie jedem davon abraten? 

Es gibt große genetische Unterschiede in Bezug auf die Eignung für eine vegane Ernährung. Für manche Personen klappt es auf Dauer gut und für andere nicht. Gerade in kritischen Lebensphasen rate ich davon kategorisch ab. Wie die Erhebungen der letzten Jahre zeigen, ist die Anzahl an vegan lebenden Menschen nun bereits im dritten Jahr rückläufig und mehr und mehr Menschen geben ihre vegane Ernährung auf, da sie auf Dauer mit gesundheitlichen Problemen kämpfen mussten, die sich merklich verbesserten, als sie wieder Tierprodukte aßen.

Im Sinne der Tiere wünsche ich mir natürlich weiterhin, dass die Allgemeinbevölkerung ihre Ernährung dennoch überdenkt und nicht unnötig große Mengen an Tierprodukten konsumiert und diejenigen Tierprodukte, die gegessen werden, aus bestmöglicher Haltung konsumiert und wir damit die Lebensbedingungen der Tiere in der hiesige Tierhaltung verbessern können.

Maranhof

Projekt, bei dem  Rittenau mitbeteiligt ist, das Eier produziert – mit einem hohen Anspruch an Tierwohl und Qualität wie: mobile Freilandhaltung, Beschäftigungsmöglichkeit; Zweinutzungsrassen statt der üblichen Legehybriden; Hähne in den Herden, Legepause (Mauser); Restaurants wie das Mraz & Sohn sind Kunden des Maranhofs. Auch über gurkerl.at zu bestellen.

400mg Cholin pro Tag empfihelt die EU. Bei Schwangerschaft mehr. Cholin kommt u. a. in Eiern und Innereien vor  und ist ein wichtiger Nährstoff, der zwar vom Körper zum Teil selbst hergestellt wird, aber oft nicht in ausreichender Menge.

Neues Lokal

Rittenau ist Mitbegründer des neuen Restaurants Lara in Wien mit rein pflanzlicher Küche.

Christina Michlits

Über Christina Michlits

Hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Nach Kennenlernen des Redaktionsalltags bei Profil und IQ Style, ging es unter anderem zu Volume und dem BKF. Seit 2010 bei KURIER für die Ressorts Lebensart und Freizeit tätig. Schwerpunkte: Mode, Design und Lifestyle-Trends.

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