ROMY

Lou Lorenz-Dittlbacher: "Das hat mit uns allen etwas gemacht"

Die ROMY-nominierte Journalistin im Gespräch über ihren neuen Job als ORFIII-Chefredakteurin und die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg, über Hoffnung und Unsicherheit.

Zum Schluss war sie selbst Interviewgast: Im Dezember verabschiedete sich Lou Lorenz-Dittlbacher nach 11 Jahren von der „ZiB2“ und wurde von ihrem Kollegen Martin Thür befragt. Kritisch und hartnäckig interviewte sie Politikerinnen und Politiker in der Nachrichtensendung stets, wie auch bei den ORF-„Sommergesprächen“, die sie im Vorjahr moderierte. Beides bescherte Lorenz-Dittlbacher ihre zweite ROMY-Nominierung in Folge. Viel Zeit, darüber nachzudenken, hat die Neo-Chefredakteurin von ORFIII dieser Tage allerdings nicht.

Neuer Job, neues Team und dann muss man gleich über einen Krieg berichten. Ein herausfordernder Start?

Lou Lorenz-Dittlbacher: Ein Krieg ist immer emotional und als Journalistin beruflich herausfordernd – egal, ob man gerade beginnt, in der Mitte oder am Ende steht. Es war nicht einfach, mit diesem kleinen Team so viele Stunden Sondersendung zu machen. Aber es hat wunderbar geklappt und ich könnte stolzer nicht sein.

Ist der Wechsel zu ORFIII eigentlich ein Auf-, Ab- oder Umstieg?

Ein hundertprozentig freiwilliger Umstieg. Die „Zeit im Bild“ war über 20 Jahre lang meine journalistische Heimat. Da habe ich viel gelernt und das hat mir wahnsinnig viel Freude gemacht. Aber ich habe den Wunsch gespürt, mich selbst noch einmal neu zu erfinden. Insofern ist es persönlich ein Aufstieg. Manche mögen es als Abstieg interpretieren. Ich ganz sicher nicht, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich kann selbst gestalten, habe Freiheiten und nehme mir die gemeinsam mit einem jungen Team. Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen – so sehr ich das geliebt habe, was ich davor gemacht habe. Aber dann hat es diese Möglichkeit gegeben, weil Ingrid Thurnher weggegangen ist. Da habe ich mir gedacht: Das ist jetzt deine Chance.

Was sind denn Ihre Pläne für den Sender?

Information ist mein journalistisches Leben. Aber so viele Stunden zu bespielen, wie wir es jetzt gemacht haben, muss die Ausnahme bleiben. Wir haben in 16 Tagen 110 Stunden Information live gemacht. Hätte mich jemand vor drei Wochen gefragt, ob ich das für möglich halte, hätte ich gesagt: Völlig ausgeschlossen. Wir sehen aber, dass das Publikum das honoriert hat. Der 1. März zum Beispiel, an dem wir rund acht Stunden Sondersendung gemacht haben, war der Tag mit dem höchsten Marktanteil in der Geschichte von ORF III. Daraus nehme ich mit, dass das Publikum eine Ergänzung zu ORF2 durchaus wünscht. Die möchte ich liefern, mit eigenen Gästen, eigenen Analysen und Korrespondentenschaltungen, die wir selbst machen.

Bei ORFIII spricht man ja normalerweise nicht so gern von Quoten.

Das stimmt, und mir geht es auch nicht darum, dorthin zu kommen, wo ORF2 ist. Das ist ein ganz anderes Angebot. Aber was für mich ausschlaggebend war und deshalb habe ich die Quoten genannt, ist, dass es vom Publikum gewünscht wird. Mir geht es da nicht um die konkrete Ziffer. Aber die Menschen haben uns gefunden und sie sind geblieben.

Haben Sie konkrete Format-Ideen?

Ich habe viele Ideen, aber aufgrund der aktuellen Situation habe ich die mit dem Team noch nicht alle besprechen können. Das, was an Fläche da ist – die dreieinhalb Stunden am Tag von 9.30 Uhr bis 13 Uhr – möchte ich weiterentwickeln. Wir haben am Freitag Peter Filzmaier mit „Filzmaiers Freitag“ und solche Rubriken würden mir gut gefallen. Das muss nicht unbedingt personenbezogen sein, es gibt ja viele Themen, die jetzt beiseitegestellt sind, wie Wissenschaft oder Bildung. Aber wie das genau aussehen wird, müssen wir gemeinsam klären.

Zum Voting

Alle Infos zu den Nominierten und das Voting gibt es auf ROMY.at

©Kurier/Gilbert Novy
Haben Sie nun „normalere“ Arbeitszeiten als bei der „ZiB2“?

Durch den Krieg ist natürlich alles anders. Aber diese Fixbuchung an mindestens zwei Abenden in der Woche, die ich durch die „ZiB2“ hatte, ist weg. Das gibt schon ein bisschen Freiheit, um auch zu Hause sein zu können, zu einer Zeit, wo meine Tochter noch munter ist. Man kann anders planen und muss nicht automatisch für Donnerstag und Freitag immer sagen: Da kann ich nicht. Aber die Erreichbarkeit ist natürlich gesteigert. Gerade die letzten Tage waren da herausfordernd. Zwischen halb sieben und 23 Uhr hat das Telefon schon sehr, sehr oft geläutet.

Erst Corona, jetzt der Krieg. Wie schafft man es, bei dieser Nachrichtenlage nicht verrückt zu werden?

Das ist nochmal schwieriger geworden. Vor einem Jahr gab es die Hoffnung, dass durch die Impfung einiges besser wird. Das war nicht der Fall. Auch die Spaltung der Gesellschaft hat sich fortgesetzt. Dieses ständige Hoffen auf Besserung, die aber nicht eintritt, hat mit uns allen etwas gemacht. Und dann so eine Unsicherheit wie ein Krieg, das ist brutal. Da muss man sich bewusst Auszeiten nehmen, und wenn es nur ein paar Stunden sind. Was in der Ukraine passiert, erreicht mich nicht nur als Journalistin, auch als Mensch, als Staatsbürgerin, als Mutter. Man hat auf einmal keine Antworten mehr für sein Kind, wenn Fragen kommen wie: Warum ist Krieg und kann der Krieg auch zu uns kommen? Das sind riesengroße Fragen, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass ich sie im Jahr 2022 beantworten muss.

Kann man in dem Job Optimistin oder Optimist sein?

Ich glaube schon, denn man entwickelt ja eine gewisse Resilienz. Ich kann mich gut erinnern, bei 9/11 hatten wir das Gefühl, wir werden nie wieder so empfinden wie davor. Und natürlich haben wir dann auch wieder Reisen gemacht, haben gelacht und hatten es schön. Das kennt man auch von privaten Tragödien, ob das Krankheit ist oder Tod: Irgendwann lernt man damit zu leben. Das ist im Journalismus auch so. Man muss eine gewisse Distanz bewahren, darf nicht alles so nah an sich heranlassen. Man muss auch entscheiden, was den Zuschauerinnen und Zuschauern zumutbar ist. Wir können diese Bilder von Leid und Flucht nicht blind reinfließen lassen. Es sitzen auch Menschen vor den Schirmen, die allein sind, mit niemandem reden können, die Kinder sind oder vielleicht selbst Krieg erlebt haben. Dieser Verantwortung muss man sich bewusst sein. Und das steht über der persönlichen Befindlichkeit.

©Kurier/Gilbert Novy
Im Vorjahr haben Sie die "Sommergespräche" moderiert, für die Sie auch ROMY-nominiert sind. Welches ist Ihnen denn besonders in Erinnerung geblieben?

Mein Wunsch war, mit jedem dieser fünf Politikerinnen und Politiker ein gleich strukturiertes Gespräch zu führen. Der Auftakt mit Beate Meinl-Reisinger verlief genau so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Doch schon das zweite Gespräch mit dem Vizekanzler war komplett anders, weil da die Debatte um Flüchtlinge aus Afghanistan aufgekommen ist. Ich wollte sehr persönlich ins Gespräch einsteigen, doch das hat meinen Plan umgeworfen. Noch dazu hat es geschüttet wie nur was (lacht), also da ist am meisten schief gegangen. Und dass Sebastian Kurz eine besondere Herausforderung ist als Gesprächspartner, weil er rhetorisch einfach Kniffe hat, Dinge zu drehen, das war klar. Da war es auch so, dass er vorab informiert hat, was er im "Sommergespräch" sagen würde. Ich habe das zwar gelesen, aber mich davon nicht irritieren lassen.

Sie sind heuer zum zweiten Mal in Folge für eine ROMY nominiert. Stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein?

Nein, ich war wieder total überrascht! Mittlerweile habe ich ja eine ganz andere Aufgabe. Wenn das noch gesehen wird, was ich im Vorjahr gemacht habe und die "Sommergespräche" mitgedacht sind, freut mich das umso mehr. Ich bin viele Monate mit den fünf Parteichefinnen und Parteichefs im Kopf durch die Gegend gegangen. Wir waren sehr erleichtert, dass die Gespräche beim Publikum so gut angekommen sind. Und wenn man in dieser schnelllebigen Zeit im März immer noch über die "Sommergespräche" reden darf, dann ist das sehr schön.

Die ORFIII-Chefredakteurin

Lou Lorenz-Dittlbacher, 1974 in Wien geboren, studierte Latein und Französisch, ehe es sie in den Journalismus verschlug. Unter den ersten Stationen war auch der KURIER. 1999 kam sie zum ORF, wo sie mehr als 20 Jahre im Team der „Zeit im Bild“ tätig war. Ab 2010 moderierte sie die „ZiB2“. 2018 erschien ihr Buch „Der Preis der Macht“ (Residenz Verlag) für das sie Interviews mit Spitzenpolitikerinnen führte. Im Vorjahr moderierte Lorenz-Dittlbacher die ORF-„Sommergespräche“. Seit 1. Jänner ist sie Chefredakteurin von ORFIII.
 

Nina Oberbucher

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